Super User

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Tue Greenfort

»Eine Bergeschichte«

 

Kunstraum Dornbirn

14. September – 4. November 2012

 

Die Ausstellung des dänischen Künstlers Tue Greenfort verbindet eine Reihe von Geschichten aus Kunst- und Kulturproduktion, aus Ökologie und Ökonomie mit Fragen nach mittlerweile verwässerten Kategorien wie der Nachhaltigkeit und dem Naturbegriff zu einem filigranen Netz. Es überlappen sich Thematiken und filigranen Figurationen. Formaler Ausgangspunkt sind unter anderem die Geschichte und die Lokalität des Kunstraum Dornbirn, dem Greenfort eine neue räumliche Struktur einschreibt.
Es handelt sich um eine ehemalige Montagehalle. 1893 erbaut, hatte sie den Zweck, Arbeitsprozesse zu vereinfachen, auch zu rationalisieren. Ein ökonomisches Motiv, das heutzutage in einem Zug mit dem Verlust von Arbeitsplätzen genannt wird, aber eine Parallele zur Ökologie hat: Auch hier geht es darum, Ressourcen schonend einzusetzen, genauso wie bei der Kuppel, die der Künstler im Raum platziert hat. Die gegensätzlich scheinenden Motive aus Ökonomie und Ökologie treffen sich hier, werfen aber auch Fragen auf. Genauso wie der Ausstellungstitel und die Werke, die darunter versammelt sind:
Wenn man einen Berggipfel erreicht, hat man dann die Natur bezwungen oder hatte man ein Naturerlebnis? Was hat die Geschichte des Bergsteigens mit Ökologie, Hippie-Träumen und -Dystopien zu tun? Wie kann man den Auswüchsen des Kapitalismus begegnen? Durch eine Do-it-yourself-Kultur? Wo hört die Geschichte der Ökologie auf, wo beginnen die Geschichten des Rationalismus? Kann Natur nur innerhalb von Kultur verstanden werden? Wie unterläuft man Langeweile in der zeitgenössischen Kunst? Was würde Buckminster Fuller sagen? Durch eine geodätische Kuppel? Und ist diese Kuppel größer als eine Skulptur, ist sie Architektur oder eine künstlerische Intervention?
Greenfort wirft Fragen in den Raum, statt Antworten zu geben, und überlässt dem Besucher das Ziehen von Schlüssen daraus. Er stellt dabei die institutionellen Normen zeitgenössischer Kunst infrage, ebenso wie die Funktion von Kunst an sich und die damit verbundene Deutungshoheit. Es geht nicht darum, etwas Wahres, Gutes oder Schönes zu zeigen, und schon gar nicht darum, dass der Besucher etwas glauben muss. Vielmehr geht es dem Künstler um die Demokratisierung eines Erkenntnisprozesses, und damit auch um die Emanzipation des Betrachters, der sich dieser Anforderung auch stellen muss.
Greenfort versteht sich weniger als Künstler, sondern vielmehr als eine Person, die Prozesse in Gang setzt und dadurch zum Nachdenken anstößt. Auch bei der zu sehenden Kuppel ist nicht klar, wie man sie definieren soll: Ist sie ein Kunstwerk von Tue Greenfort oder eine Architektur nach Buckminster Fuller? Greenfort jedenfalls platziert sie im Raum, und es stellt sich die Frage, ob es wichtig ist, ob etwas als Kunst deklariert ist, oder ob es nicht reicht, dass davon ausgehend über Dinge nachgedacht werden kann.
Wie schon kurz erwähnt, ist die Kuppel nach Plänen von Richard Buckminster Fuller gebaut. Der stellte eine 62 Meter hohe Version des „geodätische Kuppel“ genannten Baus 1967 bei der Weltausstellung in Montreal aus und wurde damit schnell berühmt. Und das nicht wegen seines spektakulären Aussehens, sondern der Idee dahinter. Es ging ihm darum, mit möglichst wenig Ressourcen eine möglichst funktionale Struktur zu schaffen (der Begriff Synergieeffekt stammt übrigens auch von ihm) – die Außenfläche der Kuppel ist z.B. 40 % kleiner als sie bei einem quadratischen Gebäude mit gleicher Grundfläche wäre. Aufgegriffen wurde die Form recht schnell von den Hippies, die anfingen, ihre eigenen Kuppeln aus Wegwerfmaterialien zu bauen.
Hier verwendet Greenfort Bauplanen, wie man sie von Baustellen kennt, samt darauf gedruckter Werbung. Ähnlich der Idee der Freitag-Taschen werden diese Bauplanen recyclet und als Hülle wiederverwendet; an der Außenseite ist noch Reklame zu erkennen, die jetzt allerdings nicht mehr zu Konsum und Wegwerfen animiert, sondern im besten Fall vor Regen schützt.
Was das jetzt mit dem Bergsteigen zu tun hat? Die Erholung in der freien Natur war schon im frühen 19. Jahrhundert in Mode, der österreichische Alpenverein wurde 1862 gegründet. In weiterer Folge kam es vermehrt zu Expeditionen in höher liegende Gebiete, etwa in den Himalaya, wo man mit dort ansässigen Bergvölkern in Berührung kam. Kulturen in kargen Gebieten zeichnen sich durch einen äußerst sparsamen und effizienten Lebensstil aus. Diese Eindrücke führten unter anderem auch dazu, dass der Alpinismus sich im 20. Jahrhundert nicht mehr nur mit dem Bezwingen der Berge beschäftigte, sondern man auch anfing, sich darüber Gedanken zu machen, wie man die Natur nicht nur unberührt lassen, sondern sie auch erhalten kann. Darauf bezogen sich schließlich die Ökobewegungen, und natürlich auch die Hippies, die Buckminster Fullers Kuppeln nachbauten.
Vor der Kuppel ist ein Modell zu sehen, ebenfalls von Tue Greenfort, diesmal nach einer Leichtbau-Zeltkonstruktion von Frei Otto aus dem Jahr 1957. Auch bei Tent (2007) geht es darum, aus Werbeplanen funktionale Architektur herzustellen, also mittels ein paar Stangen, Seilen und Wegwerfmaterial Raum für Menschen zu schaffen.
Auch zu sehen, vielmehr jedoch zu hören, ist die Soundinstallation Audio System (2011). Dafür wurden Mikrofone im Innen- und Außenbereich des Kunstraums angebracht. Die Signale werden durch einen Computer geleitet. Dieser legt einen Audiofilter darüber und leitet die Signale per Zufallsgenerator wieder in den Raum, wo sich die verschiedenen Geräusche zu einem Klangteppich verweben. Natur und Menschen werden akustisch in den Raum getragen, der sonst eher von andächtiger Stille beherrscht wird.
Auch mit der Arbeit Conservation (2011) lässt er die Widersprüche von Natur und Museum aufeinanderprallen. Die eigentliche Aufgabe eines Museums liegt gewöhnlich darin, die ausgestellten Objekte zu erhalten und zu bewahren. Holzwürmer und ähnliche Schädlinge versucht man loszuwerden. Holz, das im Grunde ein lebendes Material ist, wird abgetötet und für die Ewigkeit vorbereitet. Ganz im Gegensatz dazu, ist das Holz, das sich bei Greenfort unter einer Glaskuppel befindet, von Holzkäfern bevölkert, und man kann dem geschützten Zerfall praktisch zuschauen: Irgendwann wird dann nur noch ein Haufen Sägemehl unter dem Glas zu sehen sein. Es geht hier also um Zeit und die natürliche Vergänglichkeit, was auch durch die formale Anlehnung an eine Standuhr suggeriert wird. Darüber hinaus ist nicht ganz klar, ob der Kunstraum auf diese Weise vor den Holzkäfern beschützt wird oder die Käfer vor den Besuchern.
Ebenfalls ein Memento Mori, aber mehr noch eine diskrete Mahnung ist die Arbeit Untitled (2010). In einer Flasche sind 10 Liter Alkohol, den man in kleinen Dosen entnehmen und in einer dafür vorgesehenen Schale verbrennen kann. 10 Liter, das ist der durchschnittliche Jahresverbrauch eines Österreichers, und der Becher, mit dem der Alkohol umgeschüttet werden kann, lässt uns wissen, dass man täglich 1.800 Kilokalorien zum Leben braucht, was 25,7 cl Alkohol entspricht. Vielen Menschen, etwa in der dritten Welt, steht diese Menge an Nahrung leider nicht zur Verfügung.
Tue Greenfort hat mit der Ausstellung nicht nur Dinge versammelt, sondern versucht, eine Struktur zu schaffen. Als Kunst sollen nicht die Objekte gesehen werden, sondern der Prozess. Es ist ein Projekt, das von vielen Köpfen getragen wird, nicht von Individualität. Seien es die historischen Positionen, die Mitarbeiter, Theoretiker und Philosophen, die hier ihren Teil dazu beigetragen haben, dass die Ausstellung so geworden ist, oder die Besucher selbst: Es geht darum, viele Geschichten – auch die persönlichen der Besucher – zur Interaktion zu bringen. Und darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass man Teil einer Tradition und Geschichte ist. Die Ausstellung dreht sich folglich nicht nur um Geschichte und Geschichten, sondern versucht, selbst eine Narration, ein Prozess zu sein: eine offene, mitunter chaotische, aber dynamische Einheit, ohne abrupten Anfang oder Ende.

Andy Boot

»Überfläche«

 

21er Raum im 21er Haus, Wien

14. November — 9. Dezember 2012

 

Überfläche ist der Titel dieser Ausstellung von Andy Boot. Er suggeriert zwei Dinge: einerseits, dass da etwas ist, was über der Oberfläche liegt, und andererseits, dass dieses Etwas erhaben ist. In einer Gegenwart in der wir ständig von Bildern umgeben sind, dringt der Untergrund immer seltener durch die glänzenden Oberflächen. Nicht der gläserne Mensch ist Realität geworden, sondern das Individuum als mediale Entität. Diese immer stärker verschwimmende Grenze zwischen Sein, Präsentieren und Repräsentieren ist Ausgangspunkt der Beschäftigung  Boots mit Oberflächen und Mustern.
Aber was für Flächen sind in Boots Ausstellung zu sehen? Da gibt es das Bacterio Muster, 1978 von Ettore Sottsass entworfen, das sich einer eindeutigen Identifizierung entzieht, und zwischen abstrakt und gegenständlich oszilliert. Der Designer verwendete es als Laminat für seine Memphis Möbel, um Materialität und Struktur zu negieren, und – es als industrielles Muster wiederholend – zur eigenständigen Antiform zu erheben. Boot appliziert das Muster einmal auf eine auf Rollen stehende Skulptur, die selbst aus Trägermaterial – in dem Fall Regalbrettern – besteht, das zweite Mal taucht es als in sich selbst ruhendes Objekt auf: Als pures Laminat, unentschlossen, ob es Material oder Oberfläche sein soll. Bei sharpies thumb ist eine Leinwand recht unprätentiös mit schwarzer Farbe übermalt worden, darüber hat Boot ein Bild kaschiert, das zwei Burschen zeigt, die sich im Zuge eines missglückten Einbruchs mittels Filzstift die Gesichter unkenntlich machen wollten. Die Geste der Übermalung markiert hier in doppelter Weise den schmalen Grat auf dem die Oberfläche wandelt: zwischen Verschönerung und Verschleierung. Auch Ohne Titel spielt auf zwei unterschiedlichen Ebenen darauf an. Zum einen ist der Bronzeabguss eines Makeups in ein Holzbrett eingelassen, die ursprüngliche Funktion dadurch verfremdet und verschleiert. Aber die Oberflächenstruktur des Makeups gibt immer noch den Charakter des Produkts wieder, das da auf die eigene Haut aufgetragen werden wollte. Kein Makeup, eher ein Backup stellt eine weitere Skulptur aus einer Schrankrückwand dar. Sie markiert gleichzeitig das Ende eines Behältnisses und kaschiert den dahinter liegenden Raum. Ähnlich wie eine Leinwandarbeit, die weiß grundiert ist – bis auf ein aufgemaltes X. Als ein aus Grafikprogrammen entlehntes Symbol steht das X als Platzhalter für ein noch zu definierendes Bild, hier also für eine selbstreferentielle Metapher von Acryl auf Leinwand. Eine weitere Definition von Bild und Malerei findet sich in einer hellblau bemalten Leinwand, über die Boot kleine Katzensticker geklebt hat. Das Gestische der Abstraktion wird hier zur reinen Übertünchung der Fläche ironisiert, die Sticker darüber laden dazu ein ihre fellige Oberfläche zu betasten: seine Dekoration will als sinnliche Figuration verstanden werden. Auch die größte Arbeit der Ausstellung schreckt nicht vor einem Seitenhieb auf Pollock zurück. Für e who remained was M lässt Boot in Farbe getauchte Nudeln auf die am Boden liegende Leinwand fallen. Daraus ergibt sich ein neo-abstrakt-expressionistisches Muster, das das gestische Moment ob seiner Absurdität zum Ornament degradiert, und damit dem Illusionismus in seinen Bildern wieder Tür und Tor öffnet. Ähnliches passiert auch bei Untitled (ambassador), einem Betonzylinder, in dessen Oberseite der Innenraum eines Martiniglases (nach einem Entwurf von Oswald Haerdtl) ausgespart wurde – es ist nur noch als Zeichen lesbar und seiner Funktion beraubt.
Die Frage nach dem Status der Oberfläche ist bei Andy Boot ein Reflektieren von Materialitäten und Funktionalitäten. Durch die Transformation von Mustern in Materialien, Gesten und Malerei in Ornamente und Dekoration, und das alles auch vice versa, stellt er die Oberflächen, die wir wahrnehmen, über Form und Funktion. Das Ornament und seine Wiederholung ist bei ihm kein Verbrechen mehr, sondern spiegelt eine Realität wieder. Eine Wirklichkeit in der Sein, sich Präsentieren und sich Repräsentieren zunehmend verschwimmen und selbst das Ich als mediatisierte Entität gedacht und gelebt wird. Das Individuum ist zu einer Leinwand mit möglichst großer Oberfläche geworden, zu einer Überfläche: I am the message, because I am the medium.

Andy Boot, geboren 1987 in Sydney, Australien, lebt und arbeitet in Wien. Dieses Jahr waren Einzelausstellungen von ihm bei Croy Nielsen in Berlin und in der Renwick Gallery in New York zu sehen.

 

Katalog zur Ausstellung:
21er Raum 2012 – 2016
Herausgegeben von Agnes Husslein-Arco und Severin Dünser
Mit Texten von Severin Dünser, Simon Dybbroe Møller, Paul Feigelfeld, Agnes Husslein-Arco, Lili Reynaud-Dewar und Luisa Ziaja über Ausstellungen von Anna-Sophie Berger, Andy Boot, Vittorio Brodmann, Andy Coolquitt, Simon Dybbroe Møller, Iman Issa, Barbara Kapusta, Susanne Kriemann, Adriana Lara, Till Megerle, Adrien Missika, Noële Ody, Sarah Ortmeyer, Mathias Pöschl, Rosa Rendl, Lili Reynaud-Dewar, Anja Ronacher, Constanze Schweiger, Zin Taylor, Philipp Timischl, Rita Vitorelli und Salvatore Viviano
Grafikdesign von Atelier Liska Wesle, Wien/Berlin
Deutsch/Englisch
Softcover, 21 × 29,7 cm, 272 Seiten, zahlreiche Abbildungen in Farbe
Belvedere, Wien, 2016
ISBN 978-3-903114-18-0

Constanze Schweiger

»Scrollwork«

 

21er Raum im 21er Haus, Wien

20. Dezember 2012 — 13. Jänner 2013

 

Die Ausstellung Scrollwork von Constanze Schweiger kreist um verschiedene ästhetische Phänomene in Malerei, Mode und Gesellschaft. Die Künstlerin übersetzt dafür einzelne Elemente aus ihrem Blog (constanzeschweiger.blogspot.co.at) zurück in Ausstellungsobjekte, und die Texte darauf in ein Druckwerk. Wie ein Scrollwork – ein Ornament, das mal einem Blattwerk nachempfunden, mal ein abstraktes Muster sein kann – changiert die Ausstellung zwischen Objekten, die in verschiedene Richtungen weisend dennoch ein großes Ganzes bilden.
Zu sehen ist die Diaprojektion Peppermint, Cheerleader oder Schlechtes Gewissen, die von der Künstlerin angefertigte Farbkarten zeigt. Sie hat dafür das gesamte Spektrum von Acrylfarben, das sie für ihre Malereien verwendet, auf quadratische Karten übertragen, um die Farbigkeit nach deren Austrocknen abschätzen zu können - eine Reflexion von Produktion, deren Titel auf die reiche Suggestivität der Farbnamen verweist. Darüber hinaus liegen am Tisch: Socken von Michael Part, ein Bild von Nicolas Jasmin, ein Foto einer Pflanze vor einem Muster, eine Hose, Farbe auf einem Schuh, zwei Textilien, ein Buch, eine Wanduhr, eine Schallplatte, ein Farbfächer, eine Postkarte und eine ältere Publikation der Künstlerin.
Verbunden werden die einzelnen Exponate durch Schweigers Blog und eine neue Publikation (zur freien Entnahme). Sie enthält Blogtexte zu einzelnen Dingen, und läßt daraus wieder ein All-Over entstehen: ein zusammenhängendes Metaornament - das Scrollwork (dt. Roll- oder Rankenwerk).

Constanze Schweiger, geboren 1970 in Salzburg, lebt und arbeitet in Wien. Ihre Arbeiten waren zuletzt u. a. zu sehen bei school, Wien (2012), im Museum der Moderne Mönchsberg, Salzburg (2012), Kunstraum Niederösterreich, Wien (2011), Ve.Sch, Wien (2011) und Magazin, Wien (2010).

 

Katalog zur Ausstellung:
21er Raum 2012 – 2016
Herausgegeben von Agnes Husslein-Arco und Severin Dünser
Mit Texten von Severin Dünser, Simon Dybbroe Møller, Paul Feigelfeld, Agnes Husslein-Arco, Lili Reynaud-Dewar und Luisa Ziaja über Ausstellungen von Anna-Sophie Berger, Andy Boot, Vittorio Brodmann, Andy Coolquitt, Simon Dybbroe Møller, Iman Issa, Barbara Kapusta, Susanne Kriemann, Adriana Lara, Till Megerle, Adrien Missika, Noële Ody, Sarah Ortmeyer, Mathias Pöschl, Rosa Rendl, Lili Reynaud-Dewar, Anja Ronacher, Constanze Schweiger, Zin Taylor, Philipp Timischl, Rita Vitorelli und Salvatore Viviano
Grafikdesign von Atelier Liska Wesle, Wien/Berlin
Deutsch/Englisch
Softcover, 21 × 29,7 cm, 272 Seiten, zahlreiche Abbildungen in Farbe
Belvedere, Wien, 2016
ISBN 978-3-903114-18-0

Anja Ronacher

»Void«

 

21er Raum im 21er Haus, Wien

23. Jänner — 24. Februar 2013

 

„Ich gehe von der Annahme aus, dass dem fotografischen Bild ein Begehren zugrunde liegt“ sagt Anja Ronacher,  und versteht das Begehren dabei als durchaus evolutionäres Resultat archaischer Bedürfnisse. Ebensolche befriedigt das Gefäß, über das Heidegger schreibt: „Die Leere ist das Fassende des Gefäßes. Die Leere, dieses Nichts am Krug, ist das, was der Krug als das fassende Gefäß ist“. Weiters beschreibt er das Ding an sich über Nähe: „In der Nähe ist uns solches, was wir Dinge zu nennen pflegen. Doch was ist ein Ding? Der Mensch hat das Ding als Ding so wenig bedacht wie die Nähe“(1).
Die Gefäße auf Anja Ronachers Fotografien sind also in gewissem Sinn Platzhalter für die Leere, für den Signifikanten für den ein Gefäß steht. Und der hat mit unseren elementaren Bedürfnissen zu tun, wir haben sozusagen ein natürliches Naheverhältnis zu diesem Ding. Das trifft ebenso auf Stoff zu, zu dem wir einen vorrangig haptischen Zugang haben. Ronachers Fotografien von Faltenwürfen spielen auf die Absenz eines Körpers an, wenngleich der Textilie Körperlichkeit eingeschrieben ist. „Die Arbeit des Drapierens ist eine langsame Annäherung an eine Form, die zugleich erarbeitet ist und sich ereignet“, und, so Ronacher weiter, „in zweifacher Weise ereignet sich auch die Zeit in Bildern, in der Zeit der Arbeit am Material sowie in der Zeit der Belichtung“. Die Zeit der Belichtung bestimmt die Dunkelheit. Die Arbeit des Drapierens ist Verminderung und Reduktion, „Rückkehr in die Tiefe der Welt“(2), wie Deleuze in einem Aufsatz zu Leibniz anmerkt. In der Fotografie wird die Falte Form ohne Materie, eine „entkörperlichte Ähnlichkeit“(3), wie Maurice Blanchot schreibt. In ähnlicher Weise zeigen die Bilder von archäologischen Objekten, Gefäßen und Gegenständen die gleichzeitige An- und Abwesenheit in den Bildern, in denen auch die Hersteller der Dinge und Draperien unbekannt sind: entpersonalisiert und entautorisiert (was Ronachers Idealbild eines Künstlers entspricht).
Das Objekt kommt vor dem Bild, das Bild wird so der Ort des Verlusts und der Forderung: eine Forderung des Magischen, des Unzeitgemäßen und der Geschichte. „Das Bild lässt sich nämlich nicht durch das Erhabene seines Inhalts definieren, sondern durch seine Form, das heißt durch seine »innere Spannung«, oder durch die Kraft, die es weckt, um eine Leere zu schaffen oder Löcher zu bohren, die Umklammerung der Worte zu lösen, das Hervorsickern von Stimmen zu ersticken, um sich vom Gedächtnis und der Vernunft zu befreien, ein kleines alogisches Bild, gedächtnislos, beinahe sprachlos, bald im Leeren schwebend, bald zitternd im Offenen“(4), so Deleuze. Wie die Fotografie ist das Gefäß also in seinem Negativ begründet. Im Gefäß ist dieses Negativ eine Leere, Lücke: „Void“.

(1) Martin Heidegger, „Das Ding“
(2) Gilles Deleuze, „Die Falte - Leibniz und der Barock“
(3) Maurice Blanchot, „Die zwei Fassungen des Imaginären“
(4) Gilles Deleuze, „Erschöpft“, in Samuel Beckett, „Quadrat, Stücke für das Fernsehen“

Anja Ronacher, 1979 in Salzburg geboren, lebt und arbeitet in Wien. Sie studierte Fotografie am Royal College of Art in London und an der Estnischen Kunstakademie in Talinn, sowie Bühnenbild an der Angewandten in Wien.  Ihre Arbeiten waren u.a. zuletzt zu sehen bei Beers Lambert Contemporary, London (2012), im Museum der Moderne Salzburg (2010), im Salzburger Kunstverein (2010) und im Fotohof Salzburg (2009).

 

Katalog zur Ausstellung:
21er Raum 2012 – 2016
Herausgegeben von Agnes Husslein-Arco und Severin Dünser
Mit Texten von Severin Dünser, Simon Dybbroe Møller, Paul Feigelfeld, Agnes Husslein-Arco, Lili Reynaud-Dewar und Luisa Ziaja über Ausstellungen von Anna-Sophie Berger, Andy Boot, Vittorio Brodmann, Andy Coolquitt, Simon Dybbroe Møller, Iman Issa, Barbara Kapusta, Susanne Kriemann, Adriana Lara, Till Megerle, Adrien Missika, Noële Ody, Sarah Ortmeyer, Mathias Pöschl, Rosa Rendl, Lili Reynaud-Dewar, Anja Ronacher, Constanze Schweiger, Zin Taylor, Philipp Timischl, Rita Vitorelli und Salvatore Viviano
Grafikdesign von Atelier Liska Wesle, Wien/Berlin
Deutsch/Englisch
Softcover, 21 × 29,7 cm, 272 Seiten, zahlreiche Abbildungen in Farbe
Belvedere, Wien, 2016
ISBN 978-3-903114-18-0

»Love Story«

Sammlung Anne & Wolfgang Titze

 

Marina Abramovic, David Altmejd, Carl Andre, Matthew Barney, Georg Baselitz, Valérie Belin, Larry Bell, Matthew Brannon, James Lee Byars, John Chamberlain, Nigel Cooke, Richard Deacon, Thomas Demand, Nathalie Djurberg & Hans Berg, Olafur Eliasson, Dan Flavin, Lucio Fontana,  Barnaby Furnas, Adrian Ghenie, Antony Gormley, Rodney Graham, Kevin Francis Gray, Andreas Gursky, Wade Guyton, Guyton/Walker, Eberhard Havekost, Thomas Helbig, Gregor Hildebrandt, Shirazeh Houshiary, Nathan Hylden, Kathleen Jacobs, Donald Judd, Anish Kapoor, Jacob Kassay, Anselm Kiefer, Yayoi Kusama, Claude Lévêque, Sherrie Levine, Sol LeWitt, Robert Longo, Sarah Lucas, Robert Mangold, Piero Manzoni, Christian Marclay, Agnes Martin, John McCracken, Adam McEwen, Julie Mehretu, Mario Merz, Matthew Monahan, Robert Morris, Gabriel Orozco, Damián Ortega, Giulio Paolini, Adam Pendleton, Joyce Pensato, Grayson Perry, Paola Pivi, Jaume Plensa, Seth Price, Rashid Rana, Gerhard Richter, Charles Ross, Sterling Ruby, Robert Ryman, Fred Sandback, Wilhelm Sasnal, Thomas Scheibitz, Sean Scully, Dirk Skreber, Tony Smith, Peter Stauss, Frank Stella, Rudolf Stingel, Wolfgang Tillmans, Günther Uecker, Bernar Venet, Kelley Walker, Jeff Wall, Rebecca Warren, Lawrence Weiner, Rachel Whiteread, Christopher Williams, Christopher Wool, Erwin Wurm, Lisa Yuskavage, Toby Ziegler, Thomas Zipp, Heimo Zobernig; kuratiert von Severin Dünser und Luisa Ziaja

 

Belvedere Winterpalais und 21er Haus, Wien

15. Juni — 5. Oktober 2014

 

Die Ausstellung dreht sich – wie der Titel schon andeutet – um eine Leidenschaft. Und zwar um jene, die das französisch-österreichische Sammlerpaar Anne und Wolfgang Titze mit der Kunst verbindet. Zunächst begann diese spezielle Beziehung manchen Ausdrucksformen und Materialien wie etwa der formalen Kühle der Minimal Art und der Konzeptkunst der 1960er-Jahre gegenüber zurückhaltend. Durch die intensive Auseinandersetzung – auch mit der zugänglicheren Arte Povera – entwickelte sich nach anfänglichen Vorbehalten eine gemeinsame Passion, die in einer Kunstsammlung mündete. Rund 20 Jahre später bilden Minimal Art, Konzeptkunst und Arte Povera noch immer den Kern der Sammlung, die inzwischen aber gezielt bis zu aktuellsten Positionen hin erweitert wurde. Eine Auswahl mit circa 130 Werken von rund 90 Künstlerinnen und Künstlern wird nun zum ersten Mal öffentlich gezeigt und tritt in ein reizvolles Zusammenspiel mit dem barocken Interieur des Winterpalais und der modernen Pavillonarchitektur des 21er Haus.
Im Zentrum der Ausstellung im 21er Haus treffen Arbeiten der Wegbereiter der Reduktion der 1950er-Jahre, der Minimal Art und der Konzeptkunst der 1960er-Jahre aufeinander. Jüngste Tendenzen in Malerei, Skulptur und Fotografie umkreisen diesen Knotenpunkt und nehmen Fragestellungen nach Körper, Raum, Geste und Abbild wieder auf. Zwischen Oberem Belvedere und Schlossteich konfrontiert eine Stahlskulptur von Bernar Venet den historischen Baubestand mit zeitgenössischer Formgebung – ein Leitmotiv, das sich im Winterpalais fortsetzt. Dort bringt die ortsspezifische Präsentation konzeptuelle und figurative malerische Ansätze, etwa der deutschen Nachkriegskunst, Werke der Arte Povera, moderne und postmoderne Bildhauerei in unterschiedlichsten Materialien ebenso wie aktuelle Bildfindungen in Dialog mit der ehemaligen Residenz des Prinzen Eugen von Savoyen.
Zwischen weißer Museumswand und vergoldeter Stuckatur entfalten die Exponate hier wie da eine Wechselwirkung sich anziehender Gegensätze, die nicht nur eine neue Sicht auf die Orte, sondern auch auf die in ihnen inszenierten Werke eröffnet.

Franz Graf

»Siehe was dich sieht«

 

Mit Exponaten von unter anderem Franz Graf und Marc Adrian, Estera Alicehajic, Theo Altenberg, Ferdinand Andri, Anouk Lamm Anouk, Nobuyoshi Araki, Magnús Árnason, Johanna Arneth, Snorri Ásmundsson, Rudolf Bacher, Franz Barwig d. Ä., Lothar Baumgarten, Selina de Beauclair, Tjorg Douglas Beer, Joseph Beuys, Binär, Herbert Boeckl, Anna-Maria Bogner, Herbert Brandl, Geta Brătescu, Arik Brauer, Günter Brus, William S. Burroughs, James Lee Byars, John Cage, Nina Canell, Ernst Caramelle, Anna Ceeh, Larry Clark, Tamara Dinka, Iris Dostal, Marcel Duchamp, Dejan Dukic, Rudolf Eb.er & Joke Lanz, Valie Export, Helmut Federle, Ernst Fuchs, Walter Gamerith, August Gaul, Ron Geesin & Roger Waters, Gelitin, Liam Gillick & Corinne Jones, Allen Ginsberg, Sara Glaxia, Gottfried Goebel, Karl Iro Goldblat, Martin Grandits, Fritz Grohs, Mario Grubisic, Kristján Guðmundsson, The Guerilla Art Action Group, Tatjana Hardikov, Friedrich Hartlauer, Carl Michael von Hausswolff, Gunnhildur Hauksdóttir, Rudolf Hausner, André Heller, Herbert Hinteregger, Benjamin Hirte, Marcel Houf, Françoise Janicot, Ali Janka, Ana Jelenkovic, Robert Jelinek, Hildegard Joos, Donald Judd, Tillman Kaiser, Felix Kalmar, Allan Kaprow, Mike Kelley, Didi Kern & Philipp Quehenberger, Richard Kern, Leopold Kessler, Martin Kippenberger, Imi Knoebel, Peter Kogler, Franz Koglmann & Bill Dixon, Zenita Komad, Svetlana Kopystiansky, Brigitte Kowanz, Angelika Krinzinger, Elke Silvia Krystufek, Zofia Kulik, Doreen Kutzke, Marcellvs L., Bruce LaBruce, Eskil Loftsson, Daniel Löwenbrück, Sarah Lucas & Julian Simmons, Victor Man, Mark Manders, Michaela Math, marshall!yeti, Otto Maurer, Paul McCarthy, Andrew M. McKenzie, Bjarne Melgaard, Cecilie Meng, Merzbow, Rune Mields, Chiara Minchio, Milan Mladenovic, Klaus Mosettig, Otto Muehl, Wladd Muta, Adam Mühl, Gina Müller, Mario Neugebauer, Hermann Nitsch, Oswald Oberhuber, Erik Oppenheim & David Kelleran, Charlemagne Palestine, Manfred Pernice, Goran Petercol, Rade Petrasevic, Raymond Pettibon, Walter Pichler, Begi Piralishvili, Elisabeth Plank, Natascha Plum, Rudolf Polanszky, Franz Pomassl, Arnulf Rainer, Raionbashi / Krube., Konrad Rapf, Jason Rhodes, Paul-Julien Robert, Gerwald Rockenschaub, Dieter Roth, Fiona Rukschcio, Runzelstirn & Gurgelstøck, Alexander Ruthner, Gerhard Rühm, Kurt Ryslavy, Nino Sakandelidze, Georg Sallner, Ed Sanders, Markus Schinwald, Eva Schlegel, Conrad Schnitzler, Philipp Schöpke, Claudia Schumann, Rudolf Schwarzkogler, Frederike Schweizer, Björn Segschneider, Jim Shaw & Benjamin Weissman, Jörg Siegert, Sigtryggur Berg Sigmarsson, Tamuna Sirbiladze, Linnéa Sjöberg, Dominik Steiger, Nino Stelzl, Curt Stenvert, Alexander Stern, Rudolf Stingel, Martina Stoian, Johannes Stoll, Ida Szigethy, Lilli Thießen, Bjarni H. Thórarinsson, Manfred Unger, Franz Vana, Jannis Varelas, Walter Vopava, Wolf Vostell, Klaus Weber, Peter Weibel, Lois Weinberger, Herwig Weiser, Wendy & Jim, Adam Wiener, Ingrid Wiener, Oswald Wiener, John Wiese, Judith Weratschnig, Stefan Wirnsperger, Eva Wohlgemuth, Helmut Wolech, Iwona Zaborowska, Thomas Zipp und Heimo Zobernig

 

21er Haus, Wien

29. Jänner — 25. Mai 2014

 

Franz Graf ist ein recht spezieller Künstler. Er lässt sich nicht leicht in die üblichen Kategorien einordnen, und seine Arbeiten bzw. sein Œuvre ist nicht einfach zu beschreiben. Er ist weder vom Typ Konzeptkünstler, Malerfürst, verkanntes Genie, Staats- oder Marktkünstler noch ein Institutionskritiker und dennoch eine Menge von all dem – und immer einen Schritt voraus, wenn es darum geht, sich allzu gängigen Strukturen und damit einhergehenden Einordnungen zu entziehen.
Nach Lehrjahren bei Oswald Oberhuber an der Universität für angewandte Kunst Wien Mitte bis Ende der 1970er-Jahre arbeitet er bis 1984 mit Brigitte Kowanz im Dunstkreis des Neo Geo. Er entwickelt in den darauffolgenden Jahren eine eigene Bildsprache, die zwar noch sehr reduziert ist, aber schon als „expressive Geometrie“(1) bezeichnet wird. Aus der Beschäftigung mit der Grundeigenheit der Zeichnung – dem dunklen Strich auf hellem Grund – erarbeitet er ein Vokabular, das im Wesentlichen auf dem Gegeneinandersetzen von Kontrasten basiert. Geometrische Formen und ornamentalisierende Symbole dominieren seine Werke, die ab Ende der 1980er-Jahre zunehmend an Körperlichkeit gewinnen. Zeitgleich erweitert er sein technisches Spektrum. Neben Trägermaterialien wie Transparentpapier kommt der spezifischen Rahmung und der installativen Integration in den Raum immer mehr Augenmerk zu. Die klassischen Medien- und Kunstgrenzen werden überschritten, Zeichnungen werden zu Skulpturen, Skulpturen zu Möbeln, Möbel zu Installationen und diese wiederum zu räumlichen Ornamentationen. Und zwischendrin Malerei, die immer mehr sein Schaffen bestimmt. Parallel betreibt er die Ausweitung seiner Handlungsfelder. Graf kuratiert, musiziert, publiziert, veranstaltet und unterrichtet schließlich auch von 1997 bis 2006 an der Akademie der bildenden Künste Wien.
Die Verschränkung von Kunst und Leben findet auch im Schaffen ihren Niederschlag. Franz Graf setzt gewissermaßen eine Bildmaschine in Gang, die sich alles einverleibt, was ihr über den Weg läuft. Diese Junggesellenmaschine treibt den Künstler an, zum Sammler, Archäologen, Dokumentaristen, Forscher und Archivar zu werden und die Fundstücke dann zu einer eigenen Welt zu amalgamieren. Sie werden dabei einem alchemistisch anmutenden Vorgang unterzogen, der die Dinge neu ordnet und die daraus resultierenden Strukturen zu einer eigenen Realität verschmilzt. In diesem Universum sind die Sachen eins und existieren gleichberechtigt nebeneinander, während sie miteinander verwoben sind. Ein Symmetriebedürfnis scheint diesem Kosmos zugrunde zu liegen, das eine reine und höhere Ordnung nahelegt, in der moralische, pekuniäre, ja weltliche Gesetzmäßigkeiten keinen Nutzen zu haben scheinen. Die Weltordnung ist jenseits von Gut und Böse und nichts unterworfen: keinen Idealen, keinen Hierarchien, nur dem Transzendentalen und dem Dualismus von Schwarz und Weiß.
Und doch bleibt Graf bei all dem der Zeichnung verbunden. Deren reduzierte Darstellung ermöglicht Abstraktion bei gleichzeitiger Abbildhaftigkeit, und das verhilft den Zeichnungen an sich zur Eigenständigkeit gegenüber Motiv und reiner Signifikanz. Genau hier setzt Graf an, nutzt die natürlichen Wahrnehmungsmuster – also die instinktive Suche nach Erkennbarem –, um das Auffindbare gleich wieder unserer Realität zu entfremden und in Striche, Linien und Flächen, aber auch Ideen und Zeichen zerfallen zu lassen. Das Bezeichnende wird dabei ebenso sichtbar wie das Bezeichnete und das Bezeichnen selbst.
Diesen Schemata folgt Franz Graf auch im Großen mit seiner Ausstellung im 21er Haus. Wahrnehmungsabläufe werden forciert, ein Kosmos wird formuliert. „Siehe was dich sieht“ ist das Motto der Schau, die nicht nur Grafs Arbeiten präsentiert, sondern auch den Anspruch erhebt, durchaus repräsentativ den aktuellen Zustand eines künstlerischen Universums abzubilden und mit seinesgleichen zu kontextualisieren.
Für seine Ausstellung im 21er Haus verzahnt Graf die vielen Ebenen seines Werks erneut, um sein charakteristisches Spiel mit Leere und Fülle, Schwarz-Weiß-Kontrasten, kleinen zarten Details und großem Ikonenhaftem, Archaischem und Modernem zu treiben. Eigens produzierte und ältere Arbeiten stellt er dabei Werken von internationalen und lokalen zeitgenössischen Künstlern sowie Exponaten aus der Sammlung des Belvedere und seiner eigenen Sammlung gegenüber.
Nur ein Teil seiner Bilder ist figürlich. Schwarz und weiß sind sie alle, aber auch abstrakt und ornamental. Dann basieren sie oft auf Kreisen, wirken wie Mandalas bzw. Meditationsobjekte, die einen inneren Prozess darlegen. Andere wiederum bestehen aus Buchstabenkombinationen, die Wortfetzen bis Zitate bilden. Deren Bedeutungen können entstehen und ebenso schnell wieder zwischen den Fingern zerrinnen, um sich in neuen Bedeutungen aufzulösen. Graf geht mit Lettern wie mit seinen figürlichen Motiven um. Durchaus eklektizistisch vereint er Elemente, um sie durch seine Materialpoesie neu hervorgehen zu lassen. Die Kulturtechnik des Copy-and-Paste gehört nämlich zu seinen grundlegenden Stilmitteln – Aneignung und Verfremdung sind seine Komplizen, Struktur und Wiederholung seine Mitwisser. Zeichnungen, Fotografien, Audio- und Leinwandarbeiten, Drucke und Alltagsobjekte verschränkt Graf dabei, um offene Systeme zu schaffen, die mehr ästhetische Erfahrungsräume sind als multimediale Installationen.
In der Ausstellung ruhen dabei einige Augen auf den Betrachterinnen und Betrachtern. Verführerisch, scheu, vorwurfsvoll, verängstigt und tief sind die Blicke, mit denen Grafs Bilder mit den Besuchern kokettieren. Kein Big Brother tritt dem Rezipienten entgegen, sondern Bilder auf Augenhöhe. Wie Spiegel werfen sie den Blick zurück auf die Betrachtenden, machen in ihrer Eindringlichkeit das Schauen zum unmittelbaren Thema: als Bewusstwerden zunächst des eigenen Schauens und in weiterer Folge des Erkennens und Wahr-Nehmens.
Aber der Titel „Siehe was dich sieht“ impliziert auch eine Wechselseitigkeit. Er deutet an, dass zu erwarten ist, dass man nicht nur sieht, sondern auch gesehen (und gelesen) wird. Die Frage, die man sich in Folge stellt, war auch Ausgangspunkt für die Konzeption der Ausstellung: Wie kann man sehen, ohne sich dabei durch das Präsentieren des eigenen Schauens abzulenken und in repräsentativen Gesten zu erstarren?
Aus praktischer Ausstellungseröffnungserfahrung weiß man: Es gibt kein Entrinnen. Entweder man gewöhnt sich an den Gedanken, noch mal allein zum Schauen zu kommen, oder man versucht, sich natürlich zu verhalten und das Risiko der Ablenkung auf sich zu nehmen. Für die Ausstellung haben wir uns für Letzteres entschieden. Also eigentlich dafür, das Schaffen nicht zu isolieren und zu stilisieren, sondern es mit all dem zu zeigen, das es bedingt und umgibt.
Den Rahmen dafür bildet eine Architektur aus Elementen, die normalerweise im Gerüst- und Bühnenbau verwendet werden. Das Display besteht aus Trägermaterial, das durchaus buchstäblich eingesetzt wird, um Strukturen sichtbar zu machen, die ansonsten im Hintergrund bleiben. Das Präsentieren geht also eine Symbiose ein mit dem unmittelbaren Zeigen der Konstruiertheit der Repräsentation. Die Summe der Teile ergibt nicht nur eine überbordende Ausstellung im Hauptraum des 21er Haus, sondern gleichsam eine Bühne, auf der Franz Graf während der Laufzeit seine Installation permanent erweitert, Exponate umstellt und umhängt und regelmäßig Performances und kollaborative Kunstproduktionen stattfinden. Besucherinnen und Besucher betreten also eine Bühne und werden gemeinsam mit Graf, eingeladenen Künstlern und den in Beziehung zueinander gesetzten Werken zu Protagonisten eines Prozesses der ständigen Adaption an die Umstände. Aber ist dabei sein nun alles? Kann die Ausstellung so aus den Repräsentationsmustern ausbrechen und einen unmittelbaren, sinnlichen Zugang, ja gar ein Durchdringen der Welt von Franz Graf versprechen? Selig sind wohl, „die nicht sehen und doch glauben“(2).

(1) Donald Kuspit, in: Franz Graf (Ausstellungskatalog, Galerie nächst St. Stephan, 22. Oktober – 26. November 1988), Wien 1988
(2) NT, Johannes 20,29.

Sarah Ortmeyer

»KOKO PARADISE«

 

21er Raum im 21er Haus, Wien

5. Februar — 17. April 2016

 

KOKO PARADISE ist der letzte Teil eines Ausstellungstriptychons von Sarah Ortmeyer. Zeitlich versetzt, an drei verschiedenen Orten (Paris, New York und Wien) verhandelt die KOKO-Trilogie Eskapismus und Habsucht. KOKO PARADISE zeigt Palmen in trauriger Schönheit.

 

Sarah Ortmeyer wurde 1980 geboren und lebt in Wien. Ihre Arbeiten waren u.a. im Tel Aviv Museum of Art (2016), im Monnaie de Paris (2015), im Swiss Institute, New York (2014), im Palais de Tokyo, Paris (2013), im Stedelijk Museum voor Actuele Kunst, Gent (2012), im Museum of Modern Art, Warschau (2012), im Frankfurter Kunstverein (2011), im MAK Center, Los Angeles (2010), im Stedelijk Museum Bureau, Amsterdam (2009) und im KW Institute for Contemporary Art, Berlin (2009) zu sehen. Am Valentinstag dieses Jahres eröffnet ein neues Projekt in Kollaboration mit Andrew Wyatt im MoMA PS1 in New York.

 

Katalog zur Ausstellung:
21er Raum 2012 – 2016
Herausgegeben von Agnes Husslein-Arco und Severin Dünser
Mit Texten von Severin Dünser, Simon Dybbroe Møller, Paul Feigelfeld, Agnes Husslein-Arco, Lili Reynaud-Dewar und Luisa Ziaja über Ausstellungen von Anna-Sophie Berger, Andy Boot, Vittorio Brodmann, Andy Coolquitt, Simon Dybbroe Møller, Iman Issa, Barbara Kapusta, Susanne Kriemann, Adriana Lara, Till Megerle, Adrien Missika, Noële Ody, Sarah Ortmeyer, Mathias Pöschl, Rosa Rendl, Lili Reynaud-Dewar, Anja Ronacher, Constanze Schweiger, Zin Taylor, Philipp Timischl, Rita Vitorelli und Salvatore Viviano
Grafikdesign von Atelier Liska Wesle, Wien/Berlin
Deutsch/Englisch
Softcover, 21 × 29,7 cm, 272 Seiten, zahlreiche Abbildungen in Farbe
Belvedere, Wien, 2016
ISBN 978-3-903114-18-0

Simon Dybbroe Møller

»Lettuce«

 

21er Raum im 21er Haus, Wien

5. Dezember 2015 — 31. Jänner 2016

 

Auf alles, was wir schauen, schauen wir mit Fotografie. Wir sehen ein schwarzes Marmorstück, wie es oft in Nassräumen und an Gedenkstätten, in Badezimmern, Küchen und an Gräbern verwendet wird, und nehmen sein Glänzen wahr. So fotografisch. Seht seine weißen Adern an, die Schneckenhäuser und die Muscheln. Und schaut, wie es dem Druck von einem beschädigten Negativ ähnelt. Fotografie avant la lettre.

Fotografie ist heute natürlich etwas anderes, und die anwachsende Horde technikbegeisterter Männer, die Reviews über neues Kameraequipment postet, bewegt sich auf schwierigem Terrain. Um die visuellen Möglichkeiten des nicht enden wollenden Stroms neuer digitaler Ausrüstung zu untersuchen und zu besprechen, muss sie ihre Linse auf etwas anderes richten – sie muss sich ein Motiv suchen. Meist läuft das auf Frauen oder Vögel hinaus.

Z. B. auf einen Kormoran, der auf einem alten, verwitterten Holzpfahl seine Flügel trocknet: Seine jesusähnliche Silhouette und der Stolz seiner Haltung spiegeln sich auf der Wasseroberfläche. Man sagt, der Kormoran sei der urzeitlichste aller heute lebenden Vögel, er stamme aus der Zeit der Dinosaurier. Er habe im Gegensatz zu anderen Wasservögeln keinen Ölfilm entwickelt, der ihn davor schützt, durchnässt zu werden. Und deswegen posiere er wie am Kruzifix: weil er seine Federn im Wind trocknen müsse. Was für ein Anachronismus. Eine konstruktivere Stimme würde den Kormoran anders umschreiben und erklären, dass die meisten Lebewesen von Natur aus schwimmfähig seien, aber dass das für Tauchvögel ein Problem darstelle. Es heißt, der Kormoran schlucke Steine, um sein Gewicht zu erhöhen. Seine wichtigste evolutionäre Anpassung ist allerdings seine offene Federstruktur, die keine auftriebsteigernde Luft speichert, sondern stattdessen Wasser aufnimmt. Wie auch immer: Stellt euch durchnässte Federn vor. Stellt euch andererseits Wassertropfen auf einer wasserabweisenden Oberfläche vor. Und lasst uns darüber im Zusammenhang mit analoger und digitaler Bilderzeugung nachdenken.

Das nasse weiße T-Shirt war vielleicht der Höhepunkt der Anrüchigkeit in der alten Welt. Ein letztes Zucken des Analogen vor unserem Abstieg in ein gewichts- und altersloses Universum voller Silikon und Botox – die Taxidermie der Technosphäre –, in das gewachste Universum des Virtuellen. Erinnert ihr euch an Sabrina und Boys Boys Boys? Und an Samantha Fox? Wie diese Sängerinnen weiße Baumwolle und Wasser instrumentalisiert haben, um Bilder ihrer deftigen Körper zu produzieren, hat verschleiert und hervorgehoben. Die Bilder wirkten, als ob sie die glatte Oberfläche der glänzenden Magazine überwinden könnten, indem sie die Fluidität der analogen Entwicklung und die Klebrigkeit der Emulsionsbeschichtung des fotografischen Abzugs wiederholten. Tits and ass oder draperie mouillée. Ein Jahrhundert vorher modellierte der realistische Künstler Constantin Emile Meunier seine monumentale Skulptur Der Schiffslöscher und stellte sein Sujet in feuchtem, klebrigem Gewand dar. In dieser Fantasterei ist sogar das Durchnässte fest und das Durchtränkte stählern. Die Patina der Bronze erinnert an alte Schwarz-Weiß-Fotografien mit Sepiatönung, und der Mangel an Schattierungen verschmilzt den Körper mit der Kleidung.

Es ist sicher kein Zufall, dass bei Anleitungen zur digitalen Bildproduktion perfekt ausgeformte Tropfen an den Oberflächen von Dingen eine so große Rolle spielen. Wie die technisierte Bekleidung der Outdoor-Sport-Industrie bewohnen die Bilder von ihnen eine Welt der Undurchdringlichkeit. Wir wissen, dass die perfekten Wassertropfen auf hellen grünen Blättern, die unsere Desktop-Hintergründe verzieren, nicht natürlich dort aufgetaucht sind. Wir wissen, dass sie dort platziert und dann kunstvoll beleuchtet wurden. Möglicherweise sind sie überhaupt nicht aus Wasser, sondern aus Gelatine oder Kunstharz, wenn nicht überhaupt Produkte digitaler Nachbearbeitung. Sie durchnässen nichts, selbst wenn sie auf absorbierenden Oberflächen liegen, und sie verdunsten auch nicht. Wir haben es hier mit digitaler Bildproduktion zu tun, mit Idealen. Kein Asche zu Asche, Staub zu Staub, sondern eine Welt, in der die Dinge Grenzen haben, eine Welt ohne Entropie, ein Universum ohne Verfall. Wie frischer Salat, der auf der polierten stählernen Arbeitsplatte eines minimalistischen Küchenblocks liegt – mit seinen weißen Adern, die die neongrünen, durchscheinenden Farbnuancen seiner Blätter durchziehen, und mit seiner Objekthaftigkeit, die durch die Spiegelung auf der Metalloberfläche noch verstärkt wird – so kalorienarm, dass die Verdauung gleich viel Energie kostet, wie der Salat selbst liefert.

— Simon Dybbroe Møller
(Übersetzung: Severin Dünser)

Simon Dybbroe Møller wuchs in Grönland auf und lebt in Berlin. Seine Arbeiten waren zuletzt u. a. im Centre Pompidou, Paris, im Musee d’Art Contemporain de la Ville de Paris, im Kunsthaus Glarus und bei Ludlow 38 in New York (alle 2015) zu sehen. Demnächst werden seine Arbeiten im Le Plateau, Paris, im MOCA Cleveland sowie in der Kunsthalle São Paulo gezeigt.

 

Katalog zur Ausstellung:
21er Raum 2012 – 2016
Herausgegeben von Agnes Husslein-Arco und Severin Dünser
Mit Texten von Severin Dünser, Simon Dybbroe Møller, Paul Feigelfeld, Agnes Husslein-Arco, Lili Reynaud-Dewar und Luisa Ziaja über Ausstellungen von Anna-Sophie Berger, Andy Boot, Vittorio Brodmann, Andy Coolquitt, Simon Dybbroe Møller, Iman Issa, Barbara Kapusta, Susanne Kriemann, Adriana Lara, Till Megerle, Adrien Missika, Noële Ody, Sarah Ortmeyer, Mathias Pöschl, Rosa Rendl, Lili Reynaud-Dewar, Anja Ronacher, Constanze Schweiger, Zin Taylor, Philipp Timischl, Rita Vitorelli und Salvatore Viviano
Grafikdesign von Atelier Liska Wesle, Wien/Berlin
Deutsch/Englisch
Softcover, 21 × 29,7 cm, 272 Seiten, zahlreiche Abbildungen in Farbe
Belvedere, Wien, 2016
ISBN 978-3-903114-18-0

»Das Anliegen«

 

Erwin Auer, Bernhard Cella, Peter Fritzenwallner, Erich Gruber, Gerhard Himmer, Simon Iurino, Stefan Klampfer, Nathalie Koger, Anna Meyer, Amy Oestlund, Felix Pöchhacker, Markus Proschek, Bernhard Resch, Anja Ronacher, Anna Schwarz, Annelies Senfter, Tom Streit

 

Salzburger Kunstverein

12. Dezember 2015 — 7. Februar 2016

 

Der gesellschaftliche Wert von Kunst zeigt sich in ihrem Anspruch, den Zeichen der Zeit eine Form zu geben und neue Ideen in Bewegung zu setzen. Am Anfang davon steht immer ein Anliegen. Und dem widmet sich die Jahresausstellung 2015. Welche Anliegen beschäftigen die Mitglieder des Salzburger Kunstvereins gerade? Und wie manifestieren sie sich in Kunstwerken?
Gesellschaftliche Thematiken treffen auf persönliche Belange, politische Haltungen auf existenzielle Fragen und künstlerische Probleme auf Reflektionen unserer Lebenswelten: Die Ausstellung versucht Werke zu versammeln, die die Vielschichtigkeit der individuellen Anliegen als auch der künstlerischen Praxen die um den Kunstverein kreisen, widerspiegeln. 

Michael Part

»Mercury et al.«

 

21er Haus, Wien

5. Dezember 2015 — 17. Jänner 2016

 

Michael Part arbeitet mit und über Fotografie. Seine Beschäftigung mit den technischen Bedingungen des Mediums ist eng an die frühe Geschichte der analogen Fotografie geknüpft. Parts Ausstellung »Mercury et al.« trägt Quecksilber im Titel – ein Element, das in der Daguerreotypie verwendet wurde, um das Bild in einem letzten Schritt herauszuarbeiten.
Die zwischen 1835 und 1839 entwickelte Daguerreotypie gilt als das erste praxistaugliche fotografische Verfahren. In eine Kamera wird dafür eine Platte eingesetzt deren Oberfläche mit Silbersalzen beschichtet ist. Die molekulare Struktur des Salzgitters wird durch Lichteinfall destabilisiert wodurch die Silbersalze zu metallischem Silber reduziert werden. Anschließend wird das Bild auf der Platte durch Quecksilberdämpfe verstärkt. Übrig bleibt eine Daguerreotypie, die dort silbern ist, wo wenig Licht einwirken konnte. Da kein Negativ verwendet wird, ist das Bild seitenverkehrt und außerdem ein Unikat. Im Gegensatz dazu werden beim Silbergelatine-Verfahren die Silbersalze nicht durch Lichteinfall, sondern durch eine Entwicklerflüssigkeit auf metallisches Silber reduziert wobei Seien zur Kontraststeuerung und Farbtonbeeinflussung eingesetzt werden kann. Selen wandelt das Silber in Silberselenid um, das eine chemisch stabilere Verbindung als reines Silber ist und Fotografien haltbarer und damit auch archivtauglicher macht. Ebendieses Selen steht in einer Reihe von Arbeiten Michael Parts im Vordergrund. Es sind Silberspiegel, auf denen sich farbige Muster abzeichnen. Die Spiegel wurden in einem Prozess angefertigt, der dem Silbergelatine-Verfahren ähnlich ist. Bei beiden Verfahren ist das Ausgangsmaterial Silbernitrat und das Resultat metallisches Silber. Allerdings wurde auf der Oberfläche der Spiegel kein Bild durch Licht festgehalten, stattdessen wurde Selen in einer wässrigen Lösung angewendet, wie es eben auch bei Silbergelatine-Prints gemacht wird. Dadurch entstehen verschiedene Muster, die die Selenanwendung sichtbar machen und so einen chemischen Prozess abbilden, aber keine Motive darstellen – da ja auch nichts belichtet wurde.
Als Ergänzung zum apparatlosen Verfahren bei den Spiegeln stellt die Diainstallation »Ohne Titel (Natriumdithionite et al.)« die Apparatur ins Zentrum. Auf einem Sockel steht ein Projektionsrack, in dem zwei Diaprojektoren angebracht sind. Davon ausgehend wird eine Sequenz von Bildern an gegenüberliegende Wände geworfen, die auf weitere Verfahrenstechniken der Fotografie verweisen und den Produktionsprozess der an den Außenwänden gezeigten spiegelnden Arbeiten sowohl inhaltlich als auch formal (nämlich über ihre Texturen) kontextualisieren.
Die Arbeiten von Michael Part stellen Fragen in den Raum, was das fotografische Bild ist, welche Rolle es vor allem in dokumentarischer Absicht einnimmt, wie es sich von anderen Medien unterscheidet und was das Lichtbild als solches überhaupt konstituiert. Die Werke tun dies anhand experimenteller Anordnungen, die die Substanzen rund um die bildgebenden Methoden in neue Kombinationen bringen. Die Funktion von Chemikalien wird unterlaufen, ohne deren Bezug zur Fotografie und zu ihrer Geschichte aus den Augen zu verlieren. Es wird zur Disposition gestellt, was die Fotografie darstellen kann, und nachgefragt, an welchem Punkt die Fotografie zum Bild wird. Wo das auf technischer Seite festgemacht werden kann und ob man es als Entwickeln oder Verstärken bezeichnet, ist mehr eine rhetorische Frage. Das titelgebende Quecksilber hat Part in seinen Arbeiten nämlich nicht benutzt – was wahrscheinlich auch besser so ist, war doch den ersten Daguerreotypisten aufgrund der Arbeit mit Quecksilberdämpfen eine durchaus kürzere Lebenszeit beschieden. In Anlehnung an die verschiedenen Behandlungsverfahren treibt Part aber so eine Narration voran, die einerseits außerhalb der Darstellung von Motiven liegt und andererseits die chemischen Prozesse zum Bildgegenstand macht – ein Unterfangen, das man als buchstäbliches »Zeichnen mit Licht« beschreiben könnte.

Michael Part, geboren 1979, lebt in Wien. Seine Arbeiten waren zuletzt u. a. in den Ausstellungen »Para/Fotografie« im Westfälischen Kunstverein (2015), »The day will come when photography revises« im Kunstverein in Hamburg (2015), »green postcard« bei lbid Projects, London (2015), »e.g., 2005-2014« in der Galerie Andreas Huber, Wien (2014) und »Occupy Painting« bei Autocenter, Berlin (2014), zu sehen.

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