Montag, 02 Juli 2018 07:20

»Instructions for Happiness«

 

Anna-Sophie Berger, Keren Cytter, Heinrich Dunst, Simon Dybbroe Møller, Christian Falsnaes, Barbara Kapusta, Rallou Panagiotou, Angelo Plessas, Maruša Sagadin, Hans Schabus, Socratis Socratous, Jannis Varelas, Salvatore Viviano, Anna Witt; kuratiert von Severin Dünser und Olympia Tzortzi

 

21er Haus, Wien

8. Juli – 5. November 2017

 

Glücklichsein zählt zu den grundlegenden menschlichen Empfindungen und wir streben wohl alle danach, diesen Zustand auf die eine oder andere Art zu erreichen. Und um das persönliche Streben nach Glück geht es auch in dieser Ausstellung. Aber Anleitungen zum Glücklichsein? Da Glücklichsein eine sehr individuelle Angelegenheit ist, sind Anleitungen um dem Glück näher zu kommen natürlich eine recht absurde Versprechung. Trotzdem versucht die Ausstellung, sich dem Phänomen aus verschiedenen Perspektiven anzunähern.
Abgesehen davon, dass die Menschen schon immer versucht haben herauszufinden was glücklich macht und wann man sich selbst einen glücklichen Menschen nennen kann, gibt es nicht nur heute eine Fülle von Lebensratgeberliteratur, sondern gab es schon im Altertum immer wieder Anleitungen zum Glücklichsein. Natürlich waren sie mehr philosophischer Natur. Platon rät die drei Seelenteile Vernunft, Willen und Begehren nicht in Widerspruch kommen zu lassen und sie in Balance zueinander zu halten, um glücklich zu sein. Die Selbstverwirklichung ist laut Aristoteles eng verknüpft mit dem Glücklichsein, da man glücklich ist, wenn man gut ist in dem, was man sich zur Aufgabe gemacht hat und damit sowohl einen Platz in der Gesellschaft einnimmt als auch etwas zu ihr beiträgt. Für Epikur ist das persönliche Glück abhängig von strategisch eingesetztem Verzicht – um dann umso glücklicher zu sein, wenn man seinen Lüsten nachgeht, aber nicht abgestumpft zu werden von zu Vielem, das über die Grundbedürfnisse hinausgeht. Das Pflegen von zwischenmenschlichen Beziehungen etwa zählt er dazu. »Verschwende nicht was du im Moment hast mit den Gedanken an das, was du haben könntest. Sei Dir bewusst, dass das was du jetzt hast, ein Teil von den vielen Dingen ist, die du zu haben oder zu erreichen erträumt hast«, gibt Epikur mit auf den Weg. »Lerne still zu sein, lasse deinen Geist ruhen um zu hören und zu absorbieren« meinte Pythagoras, der auch zitiert wird mit »Je mehr aber unser Geist versteht, desto seliger sind wir.«
»Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied«, sagt der Volksmund. Es ist von Mensch zu Mensch verschieden was glücklich macht - alle haben wir individuelle Bedürfnisse, und deren Erfüllung muss dementsprechend auch von allen selbst in die Hand genommen werden. Unabhängig davon, ob die Erfüllung im Zwischenmenschlichen, Unmittelbaren oder Alltäglichen bzw. in der Schönheit der kleinen Dinge im Leben gesucht wird, versucht die Ausstellung die Vorstellungen vom Glücklichsein zu hinterfragen.
In der Arbeit von Anna-Sophie Berger etwa wird dazu aufgefordert, ein Kartenhaus zu bauen und es dann wieder einstürzen zu lassen – Präzises, konzentriertes Arbeiten auf ein Ziel hin, und die Freiheit das Produkt des eigenen Schaffens wieder hinter sich zu lassen. In Keren Cytters Videoinstallation spiegelt man sich selbst beim Anschauen einer Geschichte rund um eine Familie, Liebhaber, ein Strandhaus und einen einsamen Jungen, während man langsam von einer ruhigen Stimme in einen meditativen Gemütszustand gezogen wird. Heinrich Dunst stellt Fragen nach dem Status. »Nicht Worte« steht auf einem Bild, wurde aber durchgestrichten, darunter: »Dinge«. Eine doppelte Verneinung? Also doch Worte, als auch Dinge? Darunter jedenfalls liegt ein Fußabstreifer im Mondrian-Design, bei dem ebenfalls unklar ist ob er einfach ein Ding ist, ein bildhaftes Ding, oder ein dinghaftes Abbild eines Bildes. Auf Simon Dybbroe Møllers Fotografie ist eine Umarmung zwischen einem Koch und einem Installateur zu sehen. Geht es hier um Zwischenmenschliches? Eher um Körperliches: um Essen und Verdauen, um »Basics«, sozusagen. Christian Falsnaes’ Soundinstallation gibt Anweisungen für einfache Handlungen zwischen den Besuchern, bei denen soziale Konventionen spielend überschritten werden und die dabei sichtlich Freude bereiten. Barbara Kapusta dagegen lädt dazu ein, aus Modellierton Tassen und Schalen herzustellen – mit dem eigenen Körper also Trinkgefäße zu formen, die Grundbedürfnisse stillen. Rallou Panagiotou kombiniert unpersönliche Koffer mit Nachbildungen von Dingen aus glücklichen Erinnerungen – etwa das Paar Sandalen das in den 1990er Jahren an einem Strand verloren ging oder die vermeintliche Maske einer Medusa die im Sommerhaus der Großmutter hing. Nach dem Motto »sharing is caring« offeriert uns Angelo Plessas einen Speicherstick mit Daten zum Überspielen auf das eigene Gerät. Darauf finden sich jede Menge Selbsthilfebücher, Meditationsmusik, Ratgeber für das Liebesleben und Spiritualität – es scheint für alle möglichen Lebenslagen etwas dabei zu sein. Jannis Varelas gibt uns die Anweisung, den Ausstellungsraum zu verlassen und beim Spazieren durch die Stadt doch noch einmal darüber nachzudenken, ob man seine Aufmerksamkeit nicht doch noch einmal der Kunst widmen soll. Salvatore Viviano bittet darüber nachzudenken wie einsam man ist, während man Elvis Presley zuhört, wie er beim Singen von »Are you lonesome tonight« immer wieder zu lachen beginnt. Maruša Sagadins Skulpturenensemble lädt ein zur Reflexion des Lebens im öffentlichen Raum – einerseits hinterfragt sie die regenerativen Möglichkeiten im urbanen Bereich, andererseits die Funktion des Schminkens und die damit verbundenen formelhaften Konventionen der Repräsentation des Selbst: Wenn der Lippenstift ein Gebäude ist, ist mein Gesicht dann eine Fassade? Eine andere Frage stellt sich Hans Schabus mit seiner Plastik: Wenn das Glück ein Vogerl ist, ist es dann flüchtig? Und wenn ja, sollte man ihm dann nicht besser ein Häuschen bauen? Auch Socratis Socratous’ Skulpturen handeln von Zufluchtsorten. Kleine Inseln mit Pollern deuten Anlegestellen an. Sie bestehen zum Teil aus eingeschmolzenem Kriegsmaterial aus Konfliktgebieten. Es geht um Migration übers Meer und sichere Häfen, die man zu erreichen hofft. Anna Witt lässt in ihrer Videoinstallation schließlich eine Gruppe sechzig Minuten lang lächeln. In ihrem Werk geht es um die Kommerzialisierung von Emotionen, den Ausverkauf der eigenen Gefühle, der im Video zu einer Belastungsprobe wird.
Die Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung fordern mit ihren Arbeiten also dazu auf Handlungsanweisungen zu befolgen, auf hergestellte Situationen zu reagieren, Gegenstände zu benutzen, mit anderen zu interagieren, bzw. stoßen Denkprozesse zum Thema an. Die formal und inhaltlich sehr unterschiedlichen Positionen spiegeln die Vielfalt der Perspektiven wider, die die Künstlerinnen und Künstler – wie die Gesellschaft im Allgemeinen – auf das Glücklichsein haben.
Walter Benjamin schrieb »Glücklich sein heißt, ohne Schrecken seiner selbst inne sein zu können.« In diesem Sinne laden wir ein, sich ohne Vorbehalt auf die Arbeiten einzulassen und die Erfahrung aus den verschiedenen Perspektiven auf das Phänomen Glücklichsein zur Reflexion zu nutzen. Zumal die eigene Erfülltheit auch damit zusammenhängt, seine Bedürfnisse und das damit verbundene Handeln zu reflektieren und so ein bewusstes und selbstbestimmtes Leben zu führen – also die Lebenskunst im philosophischen Sinn zu beherrschen. Denn, um mit einem Zitat des Soziologen Gerhard Schulze zu schließen: »Wofür lebt man, wenn nicht für das schöne Leben?«

 

Katalog zur Ausstellung:
Instructions for Happiness
Herausgegeben von Stella Rollig, Severin Dünser und Olympia Tzortzi
Mit Texten von Anna Sophie Berger, Keren Cytter, Severin Dünser & Olympia Tzortzi, Heinrich Dunst, Simon Dybbroe Møller & Post Brothers, Christian Falsnaes, Barbara Kapusta, Rallou Panagiotou, Angelo Plessas, Stella Rollig, Maruša Sagadin, Hans Schabus, Socratis Socratous, Jannis Varelas, Salvatore Viviano und Anna Witt
Grafikdesign von Alexander Nußbaumer
Fotografien von Thomas Albdorf
Deutsch/Englisch
Hardcover, 22,5 × 16 cm, 128 Seiten, zahlreiche Abbildungen in Farbe
Belvedere, Wien, 2017
ISBN 978-3-903114-41-8

Freigegeben in Ausstellungsdetails
Mittwoch, 04 Januar 2017 18:25

»Instructions for Happiness«

 

Mit Arbeiten von Anna Sophie Berger, Liudvikas Buklys, Heinrich Dunst, Simon Dybbroe Møller, Christian Falsnaes, Benjamin Hirte, Barbara Kapusta, Stelios Karamanolis, Alexandra Kostakis, Adriana Lara, Lara Nasser, Rallou Panagiotou, Natasha Papadopoulou, Angelo Plessas, Maruša Sagadin, Hans Schabus, Björn Segschneider, Socratis Socratous, Misha Stroj, Stefania Strouza, Jannis Varelas, Kostis Velonis und Salvatore Viviano; kuratiert von Severin Dünser und Olympia Tzortzi 

 

Lekka 23 – 25 & Perikleous 34, Athen

21. — 30. Dezember 2016

 

Glücklichsein kann als menschliches Grundbedürfnis verstanden werden. Und um das persönliche Streben nach Glück geht es in dieser Ausstellung. Aber Anleitungen zum Glücklichsein? Da Glücklichsein eine sehr individuelle Angelegenheit ist, sind Anleitungen um dem Glück näher zu kommen natürlich eine recht absurde Versprechung. Unabhängig davon, ob das Glück im Zwischenmenschlichen, Unmittelbaren oder Alltäglichen bzw. in der Schönheit der kleinen Dinge im Leben gesucht wird, versucht die Ausstellung die Vorstellungen von Glück zu hinterfragen.

Eine Reihe von Künstlerinnen und Künstlern wurde eingeladen, eine Arbeit zur Ausstellung beizutragen. Die Anfrage war, ein Werk zu konzipieren, das ausgehend von einer Handlungsanweisung dazu auffordert etwas zu tun, also z.B. Gegenstände zu benutzen, auf hergestellte Situationen zu reagieren, mit anderen nach gewissen Regeln zu interagieren, für andere bzw. sich selbst zu performen oder auch einfach nur Denkprozesse zum Thema anzustoßen. Die Form für das Werk wurde dabei offen gelassen – und so sind die Arbeiten in der Ausstellung auch so unterschiedlich und formal divergent geworden wie die medialen Möglichkeiten. Aber die scheinbar chaotische Verschiedenheit spiegelt eben auch die Vielfalt der Perspektiven wider, die die Künstler (wie auch die Gesellschaft) auf das Glücklichsein haben.

Abgesehen von der Frage nach dem Glücklichsein im Kontext von Athen, versucht die Ausstellung auch darüber zu reflektieren, welche Möglichkeiten unmittelbarer Auswirkungen die Kunst auf die Gesellschaft haben kann. Es kann durchaus hinterfragt werden, wo die Grenzen der Kraft des ästhetischen Felds liegen, während man beim Erleben der Werke den Vorstellungen vom Glück nachgehen kann um vielleicht auch Antworten für sich selbst zu finden.

 

Mit freundlicher Unterstützung durch das Bundeskanzleramt Österreich, NON SPACES und KUP

 

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»Instructions for Happiness«

 

Συμμετέχουν: Anna Sophie Berger, Liudvikas Buklys, Heinrich Dunst, Simon Dybbroe Møller, Christian Falsnaes, Benjamin Hirte, Barbara Kapusta, Stelios Karamanolis, Alexandra Kostakis, Adriana Lara, Lara Nasser, Rallou Panagiotou, Natasha Papadopoulou, Angelo Plessas, Maruša Sagadin, Hans Schabus, Björn Segschneider, Socratis Socratous, Misha Stroj, Stefania Strouza, Jannis Varelas, Kostis Velonis, Salvatore Viviano

Υπό την επιμέλεια: Severin Dünser, Olympia Tzortzi

 

Λέκκα 23 – 25 & Περικλέους 34, Αθήνα

21.12. — 30.12.2016

 

Η ευτυχία μπορεί να κατανοηθεί ως μια από τις βασικές ανάγκες του ανθρώπου. Ο Freud έλεγε ότι σκοπός της ζωής είναι η επίτευξη και η διατήρηση της ευτυχίας – και στην αναζήτησή της επιδίδεται η έκθεση με τίτλο «Instructions for Happiness». Αλλά είναι δυνατό να υφίστανται οδηγίες;

Μια σειρά από Έλληνες και διεθνείς καλλιτέχνες έχουν κληθεί να καταθέσουν την δική τους εικαστική απάντηση σχετικά με την κατάκτηση της ευτυχίας η οποία, στον βαθμό ασφαλώς που είναι για τον καθένα υποκειμενική, δεν μπορεί παρά να καθορίζει και τις «απαντήσεις» ως αυστηρά προσωπικές. Υπό αυτήν την οπτική, όλα τα εκθέματα απηχούν διαφορετικές προσεγγίσεις ως προς την μορφή αλλά και ως προς τους «κανόνες» που θα πρέπει κανείς να εφαρμόσει (ή και να απορρίψει) προκειμένου να εκπληρώσει, έστω και πρόσκαιρα, το πολυπόθητο αποτέλεσμα και, πάντως, όλα αυτοσκηνοθετούνται ως «οδηγίες προς απόκτηση ευτυχίας». Συγχρόνως, όμως, τα έργα δεν λησμονούν ότι η ευτυχία είναι ατομική υπόθεση, ότι ουσιαστικά κάθε υπόδειξη πραγμάτωσής της συνιστά ανεδαφική ή ουτοπική υπόσχεση. Εντούτοις δεν παραιτούνται. Κι έτσι καταφέρουν να στρέψουν την προσοχή στα μικρά αντικείμενα της ζωής και να αναδείξουν, με απρόσμενο τρόπο, την ομορφιά τους (ιδού μια στιγμή ευτυχίας!) – ή εφιστούν τη προσοχή στην «ευτυχή συγκυρία» ή και στην ευδαιμονία που μπορεί, φέρ’ ειπείν, να πηγάζει από άγνοια ή παραγνώριση της πραγματικότητας ή και από τη ζωηρή φαντασία ακόμη.

Προπάντων, όλα τα έργα της έκθεσης αμφισβητούν τις παγιωμένες αντιλήψεις για το τι είναι ευτυχία και θέτουν το ερώτημα του κατά πόσο η ίδια η τέχνη μπορεί να αποβεί «πρόξενος ευτυχίας», όχι απλώς ωραιοποιώντας αλλά ενεργά μεταμορφώνοντας τον γύρω μας κόσμο. Και εντέλει θέτουν το ερώτημα των ερωτημάτων: μήπως η ευτυχία προϋποθέτει πάντοτε την ευτυχία του άλλου, δηλαδή, θα πρέπει επιτακτικά να εννοηθεί σε ένα πολιτικό πλαίσιο;

Freigegeben in Ausstellungsdetails
Mittwoch, 22 Juni 2016 15:12

Simon Dybbroe Møller

»Lettuce«

 

21er Raum im 21er Haus, Wien

5. Dezember 2015 — 31. Jänner 2016

 

Auf alles, was wir schauen, schauen wir mit Fotografie. Wir sehen ein schwarzes Marmorstück, wie es oft in Nassräumen und an Gedenkstätten, in Badezimmern, Küchen und an Gräbern verwendet wird, und nehmen sein Glänzen wahr. So fotografisch. Seht seine weißen Adern an, die Schneckenhäuser und die Muscheln. Und schaut, wie es dem Druck von einem beschädigten Negativ ähnelt. Fotografie avant la lettre.

Fotografie ist heute natürlich etwas anderes, und die anwachsende Horde technikbegeisterter Männer, die Reviews über neues Kameraequipment postet, bewegt sich auf schwierigem Terrain. Um die visuellen Möglichkeiten des nicht enden wollenden Stroms neuer digitaler Ausrüstung zu untersuchen und zu besprechen, muss sie ihre Linse auf etwas anderes richten – sie muss sich ein Motiv suchen. Meist läuft das auf Frauen oder Vögel hinaus.

Z. B. auf einen Kormoran, der auf einem alten, verwitterten Holzpfahl seine Flügel trocknet: Seine jesusähnliche Silhouette und der Stolz seiner Haltung spiegeln sich auf der Wasseroberfläche. Man sagt, der Kormoran sei der urzeitlichste aller heute lebenden Vögel, er stamme aus der Zeit der Dinosaurier. Er habe im Gegensatz zu anderen Wasservögeln keinen Ölfilm entwickelt, der ihn davor schützt, durchnässt zu werden. Und deswegen posiere er wie am Kruzifix: weil er seine Federn im Wind trocknen müsse. Was für ein Anachronismus. Eine konstruktivere Stimme würde den Kormoran anders umschreiben und erklären, dass die meisten Lebewesen von Natur aus schwimmfähig seien, aber dass das für Tauchvögel ein Problem darstelle. Es heißt, der Kormoran schlucke Steine, um sein Gewicht zu erhöhen. Seine wichtigste evolutionäre Anpassung ist allerdings seine offene Federstruktur, die keine auftriebsteigernde Luft speichert, sondern stattdessen Wasser aufnimmt. Wie auch immer: Stellt euch durchnässte Federn vor. Stellt euch andererseits Wassertropfen auf einer wasserabweisenden Oberfläche vor. Und lasst uns darüber im Zusammenhang mit analoger und digitaler Bilderzeugung nachdenken.

Das nasse weiße T-Shirt war vielleicht der Höhepunkt der Anrüchigkeit in der alten Welt. Ein letztes Zucken des Analogen vor unserem Abstieg in ein gewichts- und altersloses Universum voller Silikon und Botox – die Taxidermie der Technosphäre –, in das gewachste Universum des Virtuellen. Erinnert ihr euch an Sabrina und Boys Boys Boys? Und an Samantha Fox? Wie diese Sängerinnen weiße Baumwolle und Wasser instrumentalisiert haben, um Bilder ihrer deftigen Körper zu produzieren, hat verschleiert und hervorgehoben. Die Bilder wirkten, als ob sie die glatte Oberfläche der glänzenden Magazine überwinden könnten, indem sie die Fluidität der analogen Entwicklung und die Klebrigkeit der Emulsionsbeschichtung des fotografischen Abzugs wiederholten. Tits and ass oder draperie mouillée. Ein Jahrhundert vorher modellierte der realistische Künstler Constantin Emile Meunier seine monumentale Skulptur Der Schiffslöscher und stellte sein Sujet in feuchtem, klebrigem Gewand dar. In dieser Fantasterei ist sogar das Durchnässte fest und das Durchtränkte stählern. Die Patina der Bronze erinnert an alte Schwarz-Weiß-Fotografien mit Sepiatönung, und der Mangel an Schattierungen verschmilzt den Körper mit der Kleidung.

Es ist sicher kein Zufall, dass bei Anleitungen zur digitalen Bildproduktion perfekt ausgeformte Tropfen an den Oberflächen von Dingen eine so große Rolle spielen. Wie die technisierte Bekleidung der Outdoor-Sport-Industrie bewohnen die Bilder von ihnen eine Welt der Undurchdringlichkeit. Wir wissen, dass die perfekten Wassertropfen auf hellen grünen Blättern, die unsere Desktop-Hintergründe verzieren, nicht natürlich dort aufgetaucht sind. Wir wissen, dass sie dort platziert und dann kunstvoll beleuchtet wurden. Möglicherweise sind sie überhaupt nicht aus Wasser, sondern aus Gelatine oder Kunstharz, wenn nicht überhaupt Produkte digitaler Nachbearbeitung. Sie durchnässen nichts, selbst wenn sie auf absorbierenden Oberflächen liegen, und sie verdunsten auch nicht. Wir haben es hier mit digitaler Bildproduktion zu tun, mit Idealen. Kein Asche zu Asche, Staub zu Staub, sondern eine Welt, in der die Dinge Grenzen haben, eine Welt ohne Entropie, ein Universum ohne Verfall. Wie frischer Salat, der auf der polierten stählernen Arbeitsplatte eines minimalistischen Küchenblocks liegt – mit seinen weißen Adern, die die neongrünen, durchscheinenden Farbnuancen seiner Blätter durchziehen, und mit seiner Objekthaftigkeit, die durch die Spiegelung auf der Metalloberfläche noch verstärkt wird – so kalorienarm, dass die Verdauung gleich viel Energie kostet, wie der Salat selbst liefert.

— Simon Dybbroe Møller
(Übersetzung: Severin Dünser)

Simon Dybbroe Møller wuchs in Grönland auf und lebt in Berlin. Seine Arbeiten waren zuletzt u. a. im Centre Pompidou, Paris, im Musee d’Art Contemporain de la Ville de Paris, im Kunsthaus Glarus und bei Ludlow 38 in New York (alle 2015) zu sehen. Demnächst werden seine Arbeiten im Le Plateau, Paris, im MOCA Cleveland sowie in der Kunsthalle São Paulo gezeigt.

 

Katalog zur Ausstellung:
21er Raum 2012 – 2016
Herausgegeben von Agnes Husslein-Arco und Severin Dünser
Mit Texten von Severin Dünser, Simon Dybbroe Møller, Paul Feigelfeld, Agnes Husslein-Arco, Lili Reynaud-Dewar und Luisa Ziaja über Ausstellungen von Anna-Sophie Berger, Andy Boot, Vittorio Brodmann, Andy Coolquitt, Simon Dybbroe Møller, Iman Issa, Barbara Kapusta, Susanne Kriemann, Adriana Lara, Till Megerle, Adrien Missika, Noële Ody, Sarah Ortmeyer, Mathias Pöschl, Rosa Rendl, Lili Reynaud-Dewar, Anja Ronacher, Constanze Schweiger, Zin Taylor, Philipp Timischl, Rita Vitorelli und Salvatore Viviano
Grafikdesign von Atelier Liska Wesle, Wien/Berlin
Deutsch/Englisch
Softcover, 21 × 29,7 cm, 272 Seiten, zahlreiche Abbildungen in Farbe
Belvedere, Wien, 2016
ISBN 978-3-903114-18-0

Freigegeben in Ausstellungsdetails