Super User

Super User

»Grundfrage«

 

CRAC Alsace, Altkirch

17. Februar — 5. Mai 2013

 

Nils Bech, Carina Brandes, Christian Falsnaes, Jos de Gruyter & Harald Thys, Florian Hecker, Oscar Murillo, Noële Ody, Max Peintner, Jean-Michel Wicker + »Legs in the Morning« von Geta Brătescu, ein Konzert von Koudlam, ein Vortrag von Colin de Land (1992), »Der Duft der verblühenden Alpenrose« von Martin Walde, Schorsch Böhme, Guillaume Barth eingeladen vom CRAC Team; kuratiert von Severin Dünser und Christian Kobald

 

Für »Grundfrage« wird das CRAC Alsace zu einer riesigen Bühne, die Kunst und Nichtkunst präsentiert, stark zeitbasiert, ein gestreutes Gesamtkunstwerk – eine Neo-90er-Ausstellung. Es ist eine thematische Gruppenausstellung, aber das Thema wird dem Besucher nicht mitgeteilt, sondern nur an die Künstler kommuniziert (um Didaktik zu vermeiden). Auf indirekte Weise beschäftigen sich die Arbeiten mit                                                                                     . Kunsthistorisch könnte man es mit der Symbolik des klassischen Stilllebens vergleichen, auf einer alltäglichen Ebene mit den Überresten einer Party.

Rita Vitorelli

»Volatile Color Rushes through Time«

 

21er Raum im 21er Haus, Wien

13. März — 21. April 2014

 

Schon von außen wirkt der Eingang zur Ausstellung verstellt: Eine Leinwand scheint quer im Eingangsbereich zu schweben. Um einzutreten, muss man dann relativ nah an einer Malerei vorbei, die sich daraufhin nicht als Barriere, sondern als Teil einer Serie entpuppt. Und zwar eines fünfteiligen Zyklus, dessen Bilder nicht wie gewöhnlich an der Wand hängen, sondern jeweils an der schmalen Seite an die Wand montiert wurden und so in den Raum hineinragen. Die Hängung verstärkt die Präsenz und die Materialität der Werke, während sich statt eines Nebeneinanders ein Nacheinander ergibt. Die feste Abfolge bildet eine Narration und bietet so einen ersten Anhaltspunkt dafür, dass ein Grundmotiv dieser Ausstellung die Zeit ist. 

Auch die Motive der Malereien selbst haben mit der Zeit zu tun: Rita Vitorelli hat nämlich eine Gemäldeserie des US-amerikanischen Landschaftsmalers Thomas Cole aus dem Jahr 1836, die mit The Course of Empire betitelt ist, als Ausgangspunkt gewählt. Die einzelnen Bilder heißen – man kann es auch an den Rückseiten der Leinwände ablesen – The Savage State, The Arcadian or Pastoral State, The Consummation of Empire, Destruction und Desolation und zeigen zwar eine definitiv amerikanische Landschaft, aber kein definitives Reich. Sie schildern mit einer klaren Narration in leicht variierenden Landschaftsausschnitten die Entwicklung einer Zivilisation von der Barbarei über die Blütezeit bis zur gewaltsamen Auflösung und zum damit einhergehenden Untergang und spielen auf die biologische Natur der Geschichte und die Vergänglichkeit ihrer Epochen an. Der Zyklus durchläuft dabei – man sieht es am Stand der Sonne – einen Tag. 

Vitorelli hat versucht, die Motive Coles in eine zeitgenössische Form zu übersetzen, und die im Original recht bunten Bilder in Vorarbeiten mehr und mehr reduziert. Schließlich hat sie die Entwürfe in einer Session auf die Leinwände übertragen. Es gab keine Korrekturen oder Nacharbeiten, dafür werden die Struktur des Bildes und das performative Moment der Malerei sichtbar in einem nachvollziehbaren zeitlichen Übereinander von Leinwand, Grundierung, Zeichnung und Farbe. Es geht also um einen Moment der Umsetzung, der relativ lang vorbereitet wird, aber trotzdem nicht Gefahr läuft, seine Leichtigkeit zu verlieren. Es handelt sich sicher nicht um leicht konsumierbare Malereien. Sie haben kein Zentrum und sind mehr um den Rand aufgebaut, verlieren dadurch eher an Spannung – aber entwickeln ihren Reiz in der Detailbetrachtung, die sie schon durch die Art ihrer Installation einfordern.

Ganz anders verhält es sich mit der Flut von Bildern, die am anderen Ende des Ausstellungsraums an die Wände projiziert wird. Es sind Bilder, die mit digitalen Werkzeugen hergestellt wurden. Nicht mit den besten High-End-Bildbearbeitungsprogrammen, sondern mit Low-Tech-Tools, die nicht viel mehr können, als Pixel aneinanderzureihen. Sie sind durch drei Arbeitsweisen entstanden: erstens das Schauen auf ein Motiv, während Vitorelli dabei nicht auf den Bildschirm sieht, oder zweitens das Betrachten der zeichnenden Hand, während das Motiv im Kopf und der Bildschirm umgedreht ist, oder drittens das Schauen auf den Bildschirm, während das Motiv im Kopf ist und die Handführung nur über den Screen ausgemacht werden kann. Was bei der klassischen Zeichnung also zusammenfällt – das gleichzeitige Sehen der Hand und der entstehenden Zeichnung und das abwechselnde Schauen auf ein Motiv – wird bei Vitorelli entkoppelt. Das Bildmaterial, das die Künstlerin schon seit Längerem produziert, wird dann noch auf verschiedenen Ebenen übereinandergelegt. Für die Präsentation in der Ausstellung hat sie die Zeichnungen dann noch zu einer Diashow zusammengestellt, die mit ihren amateurhaften Übergängen den karikatur­haften Charakter der Werke noch einmal unterstreicht und die traditionelle Hängung in eine Sequenz übersetzt mit all den Fragen von Rhythmik im Hinterkopf, die man sonst bei der installativen Hängung zu beachten versucht ist.

Im Tiefhof des 21er Haus finden sich Arbeiten, die Rita Vitorelli gemeinsam mit Dan Solbach als Plakatserie gestaltet hat. Das Prinzip des kalkulierten Zufalls kam auch hier zum Tragen, Solbach kombinierte verschiedene Zeichnungen zu jeweils einem Plakat, und die 27 daraus entstandenen ließ man wiederum von Plakatierern anordnen.

Dieses willkürliche Moment, das der Zirkulation von Bildern im Internet und unserem Umgang mit ihnen nicht unähnlich ist, unterläuft repräsentativ-individuelle malerische Gesten und ersetzt Autorschaft durch kreative Komplizenschaft, während trotzdem eine digitale Handschrift zu erkennen ist. Klassische Fragen der Malerei, wie solche nach dem Bildaufbau oder der Abbildhaftigkeit, sind sich hier gegenübergestellt. Trotzdem bleibt die Malerei der Ort der Orientierung, wenn die Frage aufkommt, wo es mit ihr hingeht, wenn das Bild inflationär und immateriell ist. Und so ist wohl auch The Course of Empire als Kommentar zum Stand der Dinge zu lesen: die Malerei als etwas Ruinen­haftes, aber im Rahmen eines sich immer wiederholenden Zyklus.

 

Rita Vitorelli wurde 1972 geboren, sie lebt und arbeitet in Wien und Berlin. Letzte Ausstellungen u. a.: Very abstract and really figurative, Galerie Emanuel Layr, Wien (2012); The Happy Fainting of Painting, Zwinger Galerie, Berlin (2012); Die/Der Würfel/Le Dé (III), COCO, Wien (2012).

 

Katalog zur Ausstellung:
21er Raum 2012 – 2016
Herausgegeben von Agnes Husslein-Arco und Severin Dünser
Mit Texten von Severin Dünser, Simon Dybbroe Møller, Paul Feigelfeld, Agnes Husslein-Arco, Lili Reynaud-Dewar und Luisa Ziaja über Ausstellungen von Anna-Sophie Berger, Andy Boot, Vittorio Brodmann, Andy Coolquitt, Simon Dybbroe Møller, Iman Issa, Barbara Kapusta, Susanne Kriemann, Adriana Lara, Till Megerle, Adrien Missika, Noële Ody, Sarah Ortmeyer, Mathias Pöschl, Rosa Rendl, Lili Reynaud-Dewar, Anja Ronacher, Constanze Schweiger, Zin Taylor, Philipp Timischl, Rita Vitorelli und Salvatore Viviano
Grafikdesign von Atelier Liska Wesle, Wien/Berlin
Deutsch/Englisch
Softcover, 21 × 29,7 cm, 272 Seiten, zahlreiche Abbildungen in Farbe
Belvedere, Wien, 2016
ISBN 978-3-903114-18-0

Noële Ody

»Embrace the shit«

 

21er Raum im 21er Haus, Wien

15. Jänner — 23. Februar 2014

 

Noële Ody macht Skulpturen. Die sehen oft wie minimalistische, gar industrielle Strukturen aus, und folgen einer Logik die jenseits einer puren Ästhetik liegt. Ihr funktionales Aussehen ist kein skulpturales Gadget, sondern zentrales Element: meist prozessorientiert, versuchen sie den Betrachter miteinzubeziehen, und sich sowohl in Situationen einzupassen als auch welche zu erzeugen. 

Ihre Ausstellung im 21er Raum wirkt wie eine Wartehalle. Es ist ein Raum im Raum, an dessen Wänden sich ein Geländer entlangzieht, in dessen Mitte Bänke stehen auf denen ein Heftchen liegt und ein Getränkeautomat aufgestellt ist. Das doppelt geführte Geländer reicht um den ganzen Raum und endet links und rechts vom Eingang mit zwei überdimensionalen Händen. Der Ausstellungstitel „Embrace the shit“ ist auch der Titel dieser Arbeit, die die anderen Werke und die Besucherinnen und Besucher ganz buchstäblich umarmt. Die Installation ist speziell für die Ausstellung entstanden und von der Künstlerin bis auf die Schrauben von Hand gefertigt und mit einem schwarzen, glänzenden Lack gestrichen worden. Der Automat heißt „Hallo“ und hat eine Vorgeschichte. Ody hat ihn gemietet und in den Bildhauerateliers der Akademie der Bildenden Künste Wien in der Kurzbauergasse aufgestellt, und so die dort Produzierenden mit Getränken versorgt. Auch im Kunstverein Ve.Sch in der Schickanedergasse hat sie ihn für von ihr mitveranstaltete Abende regelmäßig im Ausstellungsraum platziert. Und nun steht er im 21er Raum, dient zwei darauf arrangierten Händen als Podest und den Besucherinnen und Besuchern zum Durststillen. Daneben sind Bänke mit dem Titel „Coretto al Banco“ aufgestellt, die von Ody für das Lokal Victus und Mili in der Neustiftgasse produziert wurden. Darauf liegt das „Book of Bills“, ein Heft das über Rechnungen die Ausstellung in ihrer ökonomischen Dimension dokumentiert.

Angelehnt an Bücher, deren Titel mit „Book of“ anfangen und mit einem Substantiv enden, versammelt es ohne zu werten Belege über die Arbeit, die im Zusammenhang mit der Ausstellung angefallen ist. Das Geländer mit den Riesenhänden wurde mit den Mitteln der Institution produziert und wurde auf Honorarnotenbasis abgegolten. Die Bänke sind ein Auftragswerk, das unter Verdacht steht Design zu sein. Der mietgekaufte Bierautomat wurde im Zuge der Ausstellung abbezahlt. Und er steht innerhalb der Ausstellung für ein Extrem, den „Real Deal“: Man steckt Geld rein und bekommt ein Getränke raus – das wohl unmittelbarste Geschäft. Auch die Bänke sind Produkt eines unmittelbaren Geschäfts, das auf stundenbasierter Abrechnung der erbrachten Arbeitsleistung basiert. Nur ist der ökonomische Status des Produkts unsicher, das industriell auch billiger hergestellt werden hätte können, und durch die Integration in die Ausstellung in seinem Wesen zwischen funktionalem Objekt und künstlerischem Werk zusätzlich verunklärt wird. 

Diese konzeptuellen Hintergründe der Produktionsbedingungen begleiten die Ausstellung und stehen den bildhauerischen Problemlösungsansätzen gegenüber. Das Verhältnis von Form zu Raum und Mensch und der nicht zu übersehende Oberflächenfetisch sind charakteristisch für die skulpturalen Qualitäten in Odys Werk. Genauso wichtig ist ein Verweis auf das Spiel der Künstlerin mit den Besucherinnen und Besuchern, denen sie den nötigen Halt und Anlass gibt, etwas länger zu verweilen und die kunstimmanenten Kreisläufe nachzuvollziehen.

Was Kunst ist, was künstlerische Arbeit bedeutet und wie sich die Künstlerin dadurch definiert? Das sind Fragen, die Noële Ody nicht beantworten kann und will. „Embrace the shit“ nennt sie ihre Ausstellung, ein schlechtes Motto das soviel bedeuten könnte wie „Dabeisein ist Alles“, setzt sich ein Partyhütchen auf und tanzt für uns. 

 

Noële Ody wurde 1982 in Starnberg, Deutschland, geboren und lebt und arbeitet in Wien. Letzte Ausstellungen u.a.: Bussi Baba, Elephant Art Space, Los Angeles; Grundfrage, CRAC Alsace, Altkirch (2013); caprihosenzeit (mit Gabriele Edlbauer), VMU art gallery 101, Kaunas; Wir treffen uns am Abend, Galerie Kamm/COCO bei Rosa, Berlin (2012).

 

Katalog zur Ausstellung:
21er Raum 2012 – 2016
Herausgegeben von Agnes Husslein-Arco und Severin Dünser
Mit Texten von Severin Dünser, Simon Dybbroe Møller, Paul Feigelfeld, Agnes Husslein-Arco, Lili Reynaud-Dewar und Luisa Ziaja über Ausstellungen von Anna-Sophie Berger, Andy Boot, Vittorio Brodmann, Andy Coolquitt, Simon Dybbroe Møller, Iman Issa, Barbara Kapusta, Susanne Kriemann, Adriana Lara, Till Megerle, Adrien Missika, Noële Ody, Sarah Ortmeyer, Mathias Pöschl, Rosa Rendl, Lili Reynaud-Dewar, Anja Ronacher, Constanze Schweiger, Zin Taylor, Philipp Timischl, Rita Vitorelli und Salvatore Viviano
Grafikdesign von Atelier Liska Wesle, Wien/Berlin
Deutsch/Englisch
Softcover, 21 × 29,7 cm, 272 Seiten, zahlreiche Abbildungen in Farbe
Belvedere, Wien, 2016
ISBN 978-3-903114-18-0

Martin Walde

»Von Moment zu Moment«

 

Kunstraum Dornbirn, Österreich

11. April — 2. Juni 2013

 

Vor allen Dingen fällt im Kunstraum Dornbirn ein riesiger Trichter auf. Er ist schwarz und hängt von der Decke, verjüngt sich nach unten, wo er mit seiner Öffnung auf einen kleinen Teller zeigt. Und dieser steht auf einer anderen, den Raum dominierenden Konstruktion: einem Podest, das einen Großteil der Ausstellungsfläche einnimmt. Es ist gerade so hoch wie die Fenstersimse des Industriebaus, der dadurch einen pavillonartigen Charakter bekommt.

Begibt man sich auf die begehbare Bodenfläche, so erschließen sich noch weitere Elemente der Ausstellung. Durch eine Falltür ist eine Videoprojektion zu sehen, auf langen Stangen hängen Gegenstände, eine undefinierbare Substanz liegt halb aus einer Plastikfolie ausgepackt auf einem Sockel, schwarze amorphe Objekte rauschen leise vor sich hin, während orange durch den Raum wabern. Aber was soll das alles?

Der schwarze Plastiktrichter etwa entstand infolge einer Beobachtung Waldes: „In einem der labyrinthischen Transfergänge im Flughafen in Rom sehe ich etwas befremdliches, aber gleichzeitig zutiefst funktionales. An einem circa 60 m2 großen Deckensegment ist eine trichterförmig zusammengeklebte Baufolien-Konstruktion angebracht. Unter diesem Konstrukt steht ein kleiner Container, darin sammelt sich Schutt und Staub, der direkt von der Decke durch den Folientrichter in den Container rieselt. [...] Die Konstruktion ist also ein hyperbolischer Trichter. Solche Trichterformen gehören zum Standardvokabular der bionischen Naturformen.“ Walde vermutet hinter der Funktion des Staubleitens keine anderen Bedingungen als einfache Materiallogik. Also verändert er das Beobachtete leicht und plant für seine Version einen unregelmäßigen hyperbolischen Trichter. Der verjüngt sich nicht nur, sondern bildet auch noch eine Strudelform, wie man sie aus dem Alltag von abfließendem Wasser kennt. Dass man die Funktionalität nachvollziehen kann, ist Walde dabei wichtig, insbesondere damit ein Interpretationsspielraum gewährleistet ist, wenn die Arbeit in einem anderen Kontext mit unterschiedlicher Metafunktion und Charakteristik unter einem neuen Namen re-realisiert wird.

In Dornbirn ist die Arbeit mit Stardust betitelt und ruft darüber Assoziationen und Geschichten hervor. Ist es tatsächlich Staub aus dem All, der sich in dem Suppenteller unter dem Trichter sammelt? Man ist an das Märchen von den Sterntalern erinnert, während man sich über die Herkunft des Staubes von der Decke vergewissert. Und der Teller verwandelt den Holzboden mit einer Höhe von 120 cm Höhe in einen gedeckten Tisch, auf dem wir zu essen bekommen, was Mutter Erde uns gegeben hat. Was jedoch in jeder – auch zukünftigen – Version der Installation bleibt, ist eine Metaphorik, die hyperbolische Trichter als universale Modelle für Singularitäten in der Diagrammsprache erkennen lässt – also für Raumkrümmung und die Darstellung von Dunkler Materie und Schwarzen Löchern. Ein abstrahierter Blick ins All also, ein Griff nach den Sternen. „Pure Science Fiction“, meint Martin Walde zu Stardust, „aus einem singulären Raum gibt es für die Materie nämlich kein Entrinnen“.

Wie eine Falle oder ein „Dead End“ sieht auch die in die Mitte der Bodenebene eingelassene Tür aus. Sie ist geöffnet, und Stufen führen in den Untergrund. Dort kann man, auf den Stufen sitzend, ein Video betrachten: From Moment to Moment, das Werk, das auch der Ausstellung seinen Namen gab. Man sieht Aufnahmen von Sommerwiesen. Die Kamera wird mit der Hand geführt. Sie bewegt sich sehr langsam und stetig weiter. Nicht linear bewegt, folgt sie keiner kontinuierlichen Choreografie. Gleichzeitig gibt es eine wahrnehmbare Eigenbewegung der Wiese, die durch Wind, Lichtveränderungen oder Insekten hervorgerufen wird. Was zunächst statisch wirkt, wird mit der Zeit als sich langsam ändernder Ausschnitt einer Wiese sichtbar. Seit Mitte der 1990er Jahre arbeitet Walde kontinuierlich an der Serie von Aufnahmen. Ihnen gemeinsam ist der Versuch, Sequenzen mit kaum spürbarer Kamerabewegung, ohne Schnitt und über einen möglichst langen Zeitraum, zu erstellen. Walde hält dem dominierenden Erzählmuster unserer Zeit, das sich nicht mehr aufhält, sondern nur noch von Aktion zu Aktion hastet, ein zeitlos anmutendes „von Moment zu Moment“ entgegen. Dabei geht es nicht nur um Entschleunigung. Durch das Unterlaufen unserer Seh- und Medienkonsumgewohnheiten kann man das Aufbereitete differenzierter verarbeiten. Das unfokussierte Schweifen über die Wiese wird so zu einer meditativen Reise in den Mikrokosmos und in Relation zu Stardust zu einer Reflexion des verschwindend Kleinen im ganz Großen.

Relativ klein fühlt man sich auch vor der nächsten Arbeit, gleich neben der Falltür. Neun Meter ragen hier Blumen in die Höhe. Doch es ist nur ein stilisierter Strauß, und die Blüten bestehen aus Abfallmaterial: Plastiksäcken, Klebeband, aufgeblasenen Latexhandschuhen, Folien und dergleichen. Die Stiele sind Angelruten aus Karbon, haben ein geringes Gewicht, sind hochelastisch und stabil. Aber warum sind sie auf Stahlfedern montiert? Man findet schnell heraus, dass man die Ruten durch die Druckfedern leicht zu Boden ziehen kann. Lässt man sie los, bewegen sie sich selbst wieder nach oben. Je höher das Gewicht an der Spitze ist, desto sanfter und langsamer ist die Bewegung. Ist das Gewicht zu groß, bleiben die Stangen durch die Hebelwirkung am Boden. I-Point ist der Titel der Arbeit und leitet sich von Infopoint ab. Denn das Werk ist eigentlich für den Außenraum gedacht, wo es auf öffentlichen Plätzen nicht nur Signalwirkung entwickeln kann. Nachrichten und Parolen, Fundgegenstände oder Tauschobjekte können darüber in spielerischer Art und Weise in Umlauf gebracht werden und den Strauß so zum Kommunikationszentrum machen.

Die Interaktion verleiht dem Kunstwerk Form und Charakter und erweitert sein Spektrum. Ähnlich verhält es sich mit einer Reihe schwarzer ovaler Objekte, die auf der Bodenebene verteilt liegen. Sie verströmen ein leises Rauschen, und Kabel kommen aus ihnen hervor. Bald merkt man auch hier, dass man die Dinger in die Hand nehmen kann, damit sich etwas tut. Aber es tut sich erst etwas, wenn man damit herumgeht: Mit etwas Glück findet man eine Position, die sowohl angenehm ist als auch ein ansprechendes Radioprogramm empfangen lässt. Walde hat nämlich kleine Radios mit Silikon überzogen und dadurch den Tuner unbedienbar gemacht. Das Radio muss man, sofern man Ergebnisse hören möchte, nun tatsächlich selbst in die Hand nehmen und physisch nach Empfang suchen. Auch hier weckt der Künstler unsere Neugier und die Lust auf das Spiel.

Schon 1992 hat er Forever sticky, forever wet produziert und dafür eine Silikonpfütze, die mehrere Quadratmeter misst, „zusammengeknüllt“. Walde verwendete damals standardisierte Industriesubstanzen und versuchte, durch Missinterpretation der Gebrauchsanweisung zu unerwarteten Ergebnissen zu kommen. Er ignorierte den Beipackzettel und erschuf in einem Aggregatzustand zwischen flüssig und fest ein Objekt, das durch die Verpackung und deren natürliche Drapierung beim Öffnen zwar an eine Blume erinnern kann, aber genau wie sie auch keiner geregelten Funktion nachgeht (außer einer ästhetischen). Forever sticky, forever wet entspringt der Serie der Hallucigenia Products. In ihrem Rahmen wurden Materialeigenschaften und deren Anwendungen so manipuliert, dass sich durch gezielte Serendipität – also die Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem, das sich als überraschende Entdeckung erweist – ganz neue Verwendungsmöglichkeiten ergaben. Hallucigenia, eine vor ca. 500 Millionen Jahren lebende, den Stummelfüßern nahestehende Tierart, entfachte unter Wissenschaftlern eine langanhaltende Diskussion über das Aussehen dieser Tiere. Walde übernahm das „Prinzip parallel existierender Fiktionen von einem Wesen mit verschiedenen Erscheinungsformen“ für seine Serie, aus der sich auch viele „Fehlversuche“ ergaben, die aber unter den Hallucigenia Products ihren gleichberechtigten Platz fanden; ist doch Hallucigenia selbst ein Wesen, dessen Möglichkeiten sich nicht in falsch oder richtig erschöpfen“, wie Walde anmerkt.

Auf ein „Fehlverhalten“ des Materials gehen auch die letzten Exponate in der Ausstellung zurück. Alien Latex besteht aus Neopren, Latex, Luft und Helium. Wobei das Helium und die Luft während der Laufzeit stetig entweichen, denn das Material der Wetterballone ermüdet zusehends durch Sonne und Witterung. Dadurch wird die Haut durchlässiger, die Bälle erschlaffen immer mehr. Bis sie schließlich nur noch dahinkriechen, und das ist dann der Moment, in dem sie aus der Koppel genommen werden, um ihr zweites Leben zu beginnen. Als undefinierbare Wesen kriechen sie durch die Ausstellung, jedes Lüftchen, jedes Vorbeihuschen haucht ihnen Leben ein. Ebenso auf Interaktion angewiesen, fristen sie ein Dasein als geplante, aber durchaus sympathische Obsoleszenz.

Martin Walde arbeitet seit den 1980er Jahren an der Erweiterung des Kunst- und Naturbegriffs. In seiner Ausstellung können wir eintauchen in Mikro- und Makrokosmos, Transformationen von Gegenständen erleben und den Metamorphosen von Materialien beiwohnen. Die Bodenebene ist dabei nicht nur das Podest für die Kunst, sondern auch die Bühne für uns Betrachter. Denn mit Von Moment zu Moment geht Walde über die Zusammenstellung von Kunstobjekten hinaus. Er schafft einen Parcours, auf dem wir seine künstlerische Arbeit vervollständigen: und das über spielerische Prozesse, die nicht selten an natürliche erinnern. Martin Walde verwandelt den Kunstraum Dornbirn in einen Garten voller Kulturen, der befremdend einer künstlichen Welt ähnelt.

 

Martin Walde, geboren 1957 in Innsbruck, lebt und arbeitet in Wien. Mehr Informationen zu ihm hier. Den Katalog zur Ausstellung kann man hier bestellen.

Vittorio Brodmann

»Ups and Downs«

 

21er Raum im 21er Haus, Wien

20. November 2013 — 6. Jänner 2014

 

Die Vorzeichen für Malerei sind derzeit alles andere als günstig: Postideologisch, postkategorisch und postklassifikatorisch wird die Kunst momentan verhandelt. Postavantgardistisch und in einer Post-Studio-Praxis wird sie produziert. „Ich bin dann mal weg“, sagt die Kunst leise zur Moderne, während sie noch auf Facebook abcheckt, wo gerade die Post abgeht. Was ist passiert? Der Glaube an ein Künstlergenie ist schon in den 1960er-Jahren abhandengekommen, auf kleinste gemeinsame ideelle Nenner kann man sich seit Ende der 1990er lediglich schwer verständigen, dafür gilt das „Anything goes“. Die Kunstgattungen lassen sich sowieso nur noch unter äußerster Anstrengung getrennt voneinander diskutieren – die Künstler begnügen sich auch schon lange nicht mehr mit einem Medium, geschweige denn mit einem fixen Atelier. Es wird projektbasiert produziert und in Einheiten von Ausstellungen gedacht. Unter diesen Voraussetzungen müsste das Unternehmen Malerei eigentlich längst abgeschrieben sein.

Aber gerade der Kontrast zwischen dem von den digitalen Medien durchdrungenen täglichen Leben und der körperlichen Welt scheint die Malerei heute wieder attraktiv zu machen. Sie muss keine Realität mehr darstellen und steht dadurch nicht unter Manipulationsverdacht. Mehr noch, sie bleibt unmittelbar und authentisch. Sie ist real existierender Beweis für ein handelndes Subjekt: Durch sie hindurch scheint man direkt in die Psyche eines farbverschmierten Malers blicken zu können. So nostalgisch das Verhältnis zur Malerei sein mag, so real wirkt das Begehren von Nähe. Trotzdem scheint die Malerei alles zu verkörpern, was man heute an Ressentiments der Kunst gegenüber hegen könnte: Sie ist wie eine schlechte Parodie von Kunst. Das sind die Umstände der Malerei heute, und insbesondere auch der von Vittorio Brodmann.

Seine Bilder sind kleinformatig, eher nicht dafür gemacht, sie aus der Distanz zu betrachten. Auf ihnen sind anthropomorphe Wesen abgebildet. Müsste man sie einem Genre zurechnen, würde man sie wohl der Fantasy zuordnen – schon allein der Farben wegen. Die Charaktere gehen, lehnen, sitzen, schauen, stehen und liegen in einem Bildraum, während figurative und abstrakte Elemente die jeweiligen Bildwelten gegenseitig in einer Schwebe halten. Mit seinen Protagonisten schafft der Künstler kleine Narrative, die den Farbraum als Bühne für recht alltägliche Posituren nutzen.

Das Überspitzen des Alltags bis zur Dysfunktionalität ist die Spezialität von Daily Cartoons und Comic Strips. Es ist schwer zu übersehen, dass Brodmann sich deren Sprache angeeignet hat. Seine künstlerische Praxis ist an der Komödie orientiert und potenziell mit Slapstick verbunden. Situationskomik setzt immer einen Handlungsraum voraus – der fängt bei ihm mit der Gleichsetzung der dargestellten Figuren mit malerischen Gesten an und hört erst bei Performances auf, die der Künstler zunehmend sein bildhaftes Schaffen begleiten lässt. Die Summe von Gesten also, die man Malerei nennt, beginnt er zu erweitern.

Im Bildraum selbst belässt er es bei malerischer Narration. Die anthropomorphen Figuren sind Charakterköpfe, denen man schnell einmal Wesenszüge zuspricht. Auch die verwendeten Farben lassen Raum für spekulative Rückschlüsse auf die psychischen Zustände der Figuren und des Künstlers dahinter. Brodmann suggeriert und imitiert Gefühlswelten, die zur Interpretation emotionaler Befindlichkeiten einladen. Er spielt mit den Unterstellungen expressiver Malerei gegenüber und den Erwartungshaltungen an das Medium im Allgemeinen. Die Gesten der Malerei überspitzt er, um sie als Projektionen sichtbar zu machen. Er malt keine klischeehaften Bilder, sondern nutzt die Stereotype aus dem Alltag der Kunst als Metamotiv.

Das Darstellen von Wesen, vermischt mit dem Zeigen von Gesten, die damit einhergehen, führt zu Bildern, die nicht atmosphärisch wirken, sondern eher selbst wie Charaktere, die ihre ganz besonderen Eigenheiten haben. Es sind komplexe Typen, die sich von ihren verschiedenen Seiten zeigen – eigentlich nicht anders als der erweiterte Freundeskreis, den man recht unfokussiert über Postings im Internet wahrnimmt.

So verbinden Vittorio Brodmanns fabelhafte Bilder das Wesentliche, das die Malerei heute zu leisten vermag: Sie sind brüchig in ihrer Präsentation von Realität und zugleich repräsentativ in ihrem Verweis auf ein System visueller Signifikanten.

 

Vittorio Brodmann, 1987 in Ettingen (CH) geboren, lebt und arbeitet in Wien. Seine Arbeiten waren zuletzt u. a. in der Leslie Fritz Gallery, New York (2013), der CEO Gallery, Malmö (2013), der Galerie Gregor Staiger, Zürich (2012), bei Graff Mourgue d’Algue, Genf (2012), in der Halle für Kunst Lüneburg (2012), der Kunsthalle Bern (2012), der Kunsthal Charlottenborg, Kopenhagen (2011), im Kunsthaus Glarus (2010), in der Galerie 1m3, Lausanne (2010), und bei New Jerseyy, Basel (2009), zu sehen. 

 

Katalog zur Ausstellung:
21er Raum 2012 – 2016
Herausgegeben von Agnes Husslein-Arco und Severin Dünser
Mit Texten von Severin Dünser, Simon Dybbroe Møller, Paul Feigelfeld, Agnes Husslein-Arco, Lili Reynaud-Dewar und Luisa Ziaja über Ausstellungen von Anna-Sophie Berger, Andy Boot, Vittorio Brodmann, Andy Coolquitt, Simon Dybbroe Møller, Iman Issa, Barbara Kapusta, Susanne Kriemann, Adriana Lara, Till Megerle, Adrien Missika, Noële Ody, Sarah Ortmeyer, Mathias Pöschl, Rosa Rendl, Lili Reynaud-Dewar, Anja Ronacher, Constanze Schweiger, Zin Taylor, Philipp Timischl, Rita Vitorelli und Salvatore Viviano
Grafikdesign von Atelier Liska Wesle, Wien/Berlin
Deutsch/Englisch
Softcover, 21 × 29,7 cm, 272 Seiten, zahlreiche Abbildungen in Farbe
Belvedere, Wien, 2016
ISBN 978-3-903114-18-0

Mathias Pöschl

»you must learn«

 

21er Raum im 21er Haus, Wien

17. April — 12. Mai 2013

 

Black Culture, Hip-Hop, Basketball: Das sind die Elemente, aus denen Mathias Pöschl seine Ausstellung you must learn im 21er Raum formt. Der Titel stammt von einem Song von KRS-One, der auch unter dem Pseudonym The Teacher mit seiner Musik zum Kampf gegen die Diskriminierung der Afro-Amerikaner durch Bildung aufruft. Neben KRS-One taucht auch Gil Scott-Heron auf, der als Erfinder des Sprechgesangs dafür bekannt war, dass seine Konzerte mehr an Unterricht erinnerten. Weiters ist ein Songtitel von Eric B. & Rakim von 1992in die Ausstellung integriert: Don’t sweat the technique hält dazu an, sich nicht mit der Technik aufzuhalten. Gleich daneben ist ein Bild mit Schnürsenkeln zu sehen, das als verbindendes Element gleich drei Mal in der Ausstellung auf- taucht. Sie sind rot, schwarz und grün, nach den Farben der von Marcus Garvey begründeten Back-to-Africa-Bewegung der 1920er Jahre. Es sind auch die dominierenden Farben der Ausstellung, während die Schuhbänder selbst auf eine andere Figur Bezug nehmen: Mahmoud Abdul-Rauf. Der spielte ab 1990 als Chris Jackson Basketball in der NBA, konvertierte 1991 zum Islam und änderte seinen Namen. Bekannt wurde er aufgrund der Weigerung, für die US-amerikanische Nationalhymne aufzustehen, und wegen seines Stils. Er spielt laut Sporttheoretikern nämlich wie ein Weißer – im Gegensatz zu den Schwarzen würden Weiße weniger kreativ, dafür genauer spielen, da sie in der Regel eher alleine trainiert haben. Abdul-Rauf hat als Schwarzer alleine trainiert, weil er das Tourette-Syndrom hat. Und das wiederum verlangt ihm Ewigkeiten ab, um seine Schuhe zu binden. Es geht also um Zeit und Ordnung in der Unordnung, eine Parallele zur Minimal Art der 1960er Jahre und Robert Smithsons Begriff der Entropie. Der taucht auch an vielen Stellen als Zitat wieder auf um sich wieder mit soziopolitischen Inhalten zu verschränken, etwa wenn Pöschl aus Smithsons Heap of Language einen Hoop (also Basketballkorb) formt, oder das Thema von Spiegeln und Glas bei Fotos zerschossener Fensterscheiben im Zusammenhang mit den Black Panthers wieder aufnimmt. Deren weibliche Ikone, Kathleen Cleaver, lässt er auf Wade Guytons Color, Power & Style prallen, während er Bilder der Nation of Islam in Anlehnung an die Reduktion der Nachnamen ihrer Mitglieder zu einem X stilisiert.

Mathias Pöschl verwendet also charakteristische Formen des Minimalismus, um ein subkulturelles System zu beschreiben. Das der Entropie Widerstreben, der Perfektionismus, das Aufbauen von Strukturen, Standbein und Spielbein, das Belasten um belastbar zu sein, das Trainieren als One-Thing-After-The-Other übersetzt er als skulpturale Qualitäten. Während er Politisches und Kulturelles vermengt, macht er daraus die Entität einer buchstäblich sozialen Skulptur. Aber gleichzeitig konterkariert er den absoluten Anspruch der Minimal Art. Und die Versuche der Ordnung lösen sich in einer unaufhaltsam fortschreitenden Entropie als Fehlschlag auf.

 

Mathias Pöschl, geboren 1981, lebt und arbeitet in Wien, wo er bis 2008 an der Akademie der bildenden Künste studierte. Letzte Ausstellungen u. a.: FAcES, Burgenländische Landesgalerie, Eisenstadt (2012), Galleri Ping-Pong, Malmö (2011), Fine Line, Georg Kargl Fine Arts, Wien (2010), Confligere, Kunstverein Schattendorf (2010), heute geschlossen, morgen geöffnet, swingr, Wien (2006).

 

Katalog zur Ausstellung:
21er Raum 2012 – 2016
Herausgegeben von Agnes Husslein-Arco und Severin Dünser
Mit Texten von Severin Dünser, Simon Dybbroe Møller, Paul Feigelfeld, Agnes Husslein-Arco, Lili Reynaud-Dewar und Luisa Ziaja über Ausstellungen von Anna-Sophie Berger, Andy Boot, Vittorio Brodmann, Andy Coolquitt, Simon Dybbroe Møller, Iman Issa, Barbara Kapusta, Susanne Kriemann, Adriana Lara, Till Megerle, Adrien Missika, Noële Ody, Sarah Ortmeyer, Mathias Pöschl, Rosa Rendl, Lili Reynaud-Dewar, Anja Ronacher, Constanze Schweiger, Zin Taylor, Philipp Timischl, Rita Vitorelli und Salvatore Viviano
Grafikdesign von Atelier Liska Wesle, Wien/Berlin
Deutsch/Englisch
Softcover, 21 × 29,7 cm, 272 Seiten, zahlreiche Abbildungen in Farbe
Belvedere, Wien, 2016
ISBN 978-3-903114-18-0

Susanne Kriemann

»RAY«

 

21er Raum im 21er Haus, Wien

2. Oktober — 10. November 2013

 

"In girum imus nocte et consumimur igni" ist nicht der Ausstellungstitel, sondern der Titel der Werkserie, aus der die im 21er Raum gezeigten Arbeiten stammen. Er ist ein Palindrom, also von vorne und von hinten gleich zu lesen, und bedeutet „Wir irren des Nachts im Kreis umher und werden vom Feuer verzehrt“. Auch die Ausstellung schickt uns zwischen mehreren Erzählsträngen im Kreis herum.

Dass die meisten Fotografien der Ausstellung nicht während Susanne Kriemanns Residency in Wien entstanden sind, sieht man. Ein aufrecht stehender rötlicher Stein, Höhlenwände und eine doch recht amerikanisch anmutende Landschaft sind auf ihnen zu sehen. Entstanden sind die Aufnahmen während einer Recherchereise in Texas. Das aus der Reise resultierende Bildarchiv ist riesig, die Auswahl für die Ausstellung sehr eng und fokussiert. Als da wären: fünf aufeinandergestapelte Landschaftsbilder, die das Gebiet um Barringer Hill zeigen. Kriemanns Aufnahmen entstanden mit der Vision, die Bilder aus der Barringer-Hill-Fotosammlung heute noch mal zu schießen. Dort wurde 1887 eine ganze Reihe von Mineralien gefunden, darunter auch Fergusonit und Gadolinit, beides Seltene Erden. Als 1901 die Westinghouse Company das Nernstlampen-Patent erwarb, wurde die Mine zur Hauptlieferantin für die dafür benötigten und aus jenen Seltenen Erden hergestellten Glühstifte. 1910 war die Nernstlampe schon wieder überholt, Glühbirnen hielten Einzug in den Haushalten. 1937 wurde die Mine mit Wasser geflutet, das nun als Lake Buchanan über Barringer Hill ruht. Die Seltenen Erden aber sind mittlerweile gefragter denn je. In LEDs spenden sie wieder Licht, auch LCD- und Plasmabildschirme kommen nicht ohne sie aus. China kontrolliert heute den Markt für Seltene Erden und förderte 2011 97 Prozent der Weltproduktion. In den USA werden zurzeit wieder Minen erschlossen, um die Importabhängigkeit für die dringend benötigten Mineralien zu verringern. Kriemann selbst hat auf der Verwendung Seltener Erden basierende Technologie genutzt, um ihre Landschaftsbilder zu solarisieren – mit dem Licht ihres iPhone während des Abziehens ihrer Fotos.

Auch bei dem anthropomorph wirkenden Bild von Höhlenwänden waren LED- Scheinwerfer im Spiel. Sie beleuchten nämlich die Longhorn Cavern unweit des Barringer Hill.
Ein größeres Bild ist nicht in Texas, sondern im Naturhistorischen Museum in Wien entstanden. Galodinit – ein radioaktives Mineral und eine Seltene Erde – reagierte dafür mit Großformatfilm, ein Prozess, der etwa 20 Tage dauerte. Die Künstlerin beschreibt das Resultat wie folgt: „Der Stein sieht aus, als ob er aus dem Kosmos direkt auf dich zufliegt. Du kannst dich in dem Bild verlieren. Demgegenüber sieht die Höhlenlandschaft aus, als ob du etwas erkennst, und je länger du hinschaust, umso weniger weißt du, was du siehst. Als ob du vom Moment der Verunsicherung aus in zwei Richtungen gehst: Beim einen weißt du nicht, was du siehst, und versuchst es zu definieren, beim anderen denkst du, du weißt genau, was du siehst, aber du verlierst dich und weißt dann wieder überhaupt nichts.“

Das letzte Bild in der Ausstellung – ein digitales Foto – wurde ebenfalls im Rahmen der Texas-Recherche aufgenommen. Darauf ist ein Monolith aus rotem Granit zu sehen. Er kommt dort, wo er aufgestellt wurde, natürlich vor: bei der Amarillo Ramp, der letzten Land-Art-Arbeit von Robert Smithson. Der Künstler stürzte 1973 bei einer Besichtigung der Örtlichkeit mit dem Flugzeug ab, und seine Frau Nancy Holt ließ den Stein dort aufstellen.

Smithson entlehnte einen Begriff aus der Physik, um ihn auf gesellschaftliche und universale Phänomene anzuwenden: die Entropie. Das zweite thermodynamische Gesetz besagt nach Smithson, dass Energie leichter verloren als erhalten werden kann, dass der Grad an Unordnung (in der Sozialwissenschaft auch Ungewissheit) also stetig zunimmt. Er versuchte Momente zwischen Verfall und Erneuerung, Chaos und Ordnung herzustellen, während sich alles in ständiger Veränderung befindet.

Und so mäandert die Frage nach der Entropie auch durch die Ausstellung: eine Mine, die jetzt ein See ist, ein See, der auch ein Spiegel ist und gleichzeitig das Potenzial darstellt, dass aus der Minenhöhle irgendwann eine ausgewaschene Landschaft wird, die Steine sich also in einer Art skulpturalem Prozess transformieren. Dass Smithson hier in einen Stein verwandelt Einzug in die Ausstellung hält, unterstreicht den fast mystischen Zugang Susanne Kriemanns zum Thema Entropie. Auch die Seltenen Erden ändern bei ihrer Bewegung durch die Ausstellung ständig ihre Gestalt und ihre Bedeutung. Und die unsichtbare Strahlung der Steine wird zu einer Metapher für die Strahlung der Bildschirme, die uns heute überall umgeben, und die vielen Dinge, die man zu sehen glaubt, es aber nicht tut. Das Leben in einem permanenten Informationsaustausch führt zu einer ständigen Rückversicherung potenziellen Wissens und ist so repetitiv wie die Abzüge der Fotos der Serie, die einander alle sehr ähneln, aber nicht gleich sind. So wie der Satz „Wir irren des Nachts im Kreis umher und werden vom Feuer verzehrt“ in verschiedenen Sprachen unterschiedlich konnotiert ist. „Während man die Haut der Lichtkörper streichelt, um durch Informationswelten zu streifen, blickt man permanent ins Licht. Dazwischen ist Glas, die Geräte sind eigentlich Vitrinen, die Fotos und die Texte schon musealisiert und archiviert, d. h. eigentlich nicht mehr lebendig“, so Susanne Kriemann. Da kann man nur hoffen, dass die Entropie bald wieder abnimmt und wir nicht wie die Motten im Licht enden. 

 

Susanne Kriemann, 1972 in Erlangen geboren, lebt und arbeitet in Berlin und Rotterdam. Ihre Arbeiten waren zuletzt u. a. im Museum of Contemporary Art Chicago (2013), im Arnolfini, Bristol (2013), im Stedelijk Museum Amsterdam (2012), im Kunstverein Braunschweig (2012), in der Kunsthalle Winterthur (2011), im CAG Vancouver (2010), im KIOSK Ghent (2010), im Künstlerhaus Stuttgart (2009) und auf der Berlin Biennale (2008) zu sehen.

 

Katalog zur Ausstellung:
21er Raum 2012 – 2016
Herausgegeben von Agnes Husslein-Arco und Severin Dünser
Mit Texten von Severin Dünser, Simon Dybbroe Møller, Paul Feigelfeld, Agnes Husslein-Arco, Lili Reynaud-Dewar und Luisa Ziaja über Ausstellungen von Anna-Sophie Berger, Andy Boot, Vittorio Brodmann, Andy Coolquitt, Simon Dybbroe Møller, Iman Issa, Barbara Kapusta, Susanne Kriemann, Adriana Lara, Till Megerle, Adrien Missika, Noële Ody, Sarah Ortmeyer, Mathias Pöschl, Rosa Rendl, Lili Reynaud-Dewar, Anja Ronacher, Constanze Schweiger, Zin Taylor, Philipp Timischl, Rita Vitorelli und Salvatore Viviano
Grafikdesign von Atelier Liska Wesle, Wien/Berlin
Deutsch/Englisch
Softcover, 21 × 29,7 cm, 272 Seiten, zahlreiche Abbildungen in Farbe
Belvedere, Wien, 2016
ISBN 978-3-903114-18-0

‘Sign – Image – Object’

 

Marc Adrian, Ei Arakawa & Nikolas Gambaroff, Richard Artschwager, Josef Bauer, Martin Beck, Mel Bochner, Marcel Broodthaers, Gerard Byrne, Heinrich Dunst, Jenny Holzer, Lisa Holzer, Johanna Kandl, Michael Kienzer, Joseph Kosuth, Hans Kupelwieser, Thomas Locher, Oswald Oberhuber, Michael Part, Gerwald Rockenschaub, Anja Ronacher, Gerhard Rühm, Allen Ruppersberg, Stefan Sandner, Daniel Spoerri, Josef Hermann Stiegler, Josef Strau, Thaddeus Strode, Peter Weibel, Lawrence Weiner, Heimo Zobernig, Leo Zogmayer

in the context of ‘Collection #3’, 21er Haus, Vienna, 2013

 

21er Haus, Vienna

21 June — 10 November 2013

 

A museum collection reflects more than the historical vicissitudes of art purchasing policy: it also brings the programmatic direction of an institution into focus. At the 21er Haus, Austrian art is shown in an international context. Contemporary work is at the center of attention, supported by historical artworks which together with it represent a line of argument for its relevance in the here and now.

In order to make visible the diversity of the museum’s holdings, to rediscover artworks and think toward new relationships, the collection is reorganized at regular intervals. In the third presentation of the collection at the 21er Haus, the artworks are grouped into three areas, each of them centering on three concepts narrating localized histories of ideas that extend into the present.

Under the title ‘Freedom – Form – Abstraction’, works of Austrian postwar modernism are juxtaposed with contemporary artistic positions, demonstrating commonalities in both content and form. A second area directs the gaze toward the blurring of boundaries between ‘Sign – Image – Object’, thereby focusing attention on the structure of reception and its translation into language. Finally, ‘Body – Psyche – Performativity’ addresses social norms and their transgression in art since the 1960s.

 

The area ‘Sign – Image – Object’ attempts to capture the fruitful moments in which the boundaries between image and sign, writing and language, object and idea are transgressed.

What happens when image and sign collide, both being seen and read at the same time? What happens when an object no longer coincides with the beholder’s idea or mental representation of it? Is an image an object, a space of illusion, or itself a sign? When does a sign become an ornament, and can it completely lose its meaning when it is isolated or recontextualized? Can language be depicted without writing, or does it then remain a mute visualization?

To be explored is the interplay between signified and signifier, in other word between that which labels and that which is labeled, and the ambiguous status of sign, image and object, which has been thematized in art since the Conceptual movement of the 1960s. Not only do these queries address art and its reality; they also direct attention toward the process of perception. Outlines emerge of the ways in which we translate what we see into language, and of the interactions that are triggered in our thoughts by what we have seen.

»Zeichen – Bild – Objekt«

 

Marc Adrian, Ei Arakawa & Nikolas Gambaroff, Richard Artschwager, Josef Bauer, Martin Beck, Mel Bochner, Marcel Broodthaers, Gerard Byrne, Heinrich Dunst, Jenny Holzer, Lisa Holzer, Johanna Kandl, Michael Kienzer, Joseph Kosuth, Hans Kupelwieser, Thomas Locher, Oswald Oberhuber, Michael Part, Gerwald Rockenschaub, Anja Ronacher, Gerhard Rühm, Allen Ruppersberg, Stefan Sandner, Daniel Spoerri, Josef Hermann Stiegler, Josef Strau, Thaddeus Strode, Peter Weibel, Lawrence Weiner, Heimo Zobernig, Leo Zogmayer

im Rahmen von »Sammlung #3«

 

21er Haus, Wien

21. Juni — 10. November 2013

 

Eine Kunstsammlung spiegelt nicht nur die Geschichte einer oft wechselvollen Ankaufspolitik wider, ihre Präsentation verdeutlicht gleichzeitig auch die Programmatik einer Institution. Im 21er Haus wird österreichische Kunst im internationalen Kontext gezeigt. Zeitgenössisches steht im Zentrum und wird unterstützt von historischen Arbeiten, die gemeinsam eine Beweisführung für ihre Relevanz im Hier und Jetzt darlegen. Um die Vielseitigkeit des Bestandes sichtbar zu machen, Werke wiederzuentdecken und neue Nachbarschaften anzudenken, wird die Sammlung in regelmäßigen Abständen neu aufgestellt. In der dritten Sammlungspräsentation im 21er Haus umkreisen die Werke in drei Bereichen jeweils drei Begriffe, die lokale Ideengeschichten bis in die Gegenwart erzählen.

Unter dem Titel »Freiheit – Form – Abstraktion« werden Werke der österreichischen Nachkriegsmoderne zeitgenössischen Positionen gegenübergestellt und inhaltliche wie formale Gemeinsamkeiten aufgezeigt. Ein zweiter Bereich lenkt den Blick auf das Verschwimmen der Grenzen zwischen »Zeichen – Bild – Objekt« und verweist dabei auf die Struktur der Rezeption und ihre Übersetzung in Sprache. »Körper – Psyche – Performanz« handelt schließlich von sozialen Normierungen und deren Überschreitung in der Kunst seit den 1960er-Jahren.

Der Bereich »Zeichen – Bild – Objekt« versucht den fruchtbaren Moment zu fassen, wenn die Grenzen zwischen Bild und Zeichen, Schrift und Sprache, Objekt und Idee überschritten werden. Was passiert, wenn Bild und Zeichen aufeinandertreffen, zeitgleich gelesen und gesehen werden? Was, wenn ein Objekt nicht mit der Idee oder der Vorstellung, die man davon hat, übereinstimmt? Ist das Bild ein Objekt, ein Illusionsraum oder selbst ein Zeichen? Wann wird das Zeichen zum Ornament, und kann es überhaupt seine Bedeutung verlieren, indem man es isoliert oder neu kontextualisiert? Und kann man Sprache darstellen, ohne zu schreiben, oder bleibt es dann bei einer stummen Visualisierung? Es geht um das Spiel zwischen Signifikat und Signifikant, also Bezeichnetem und Bezeichnendem, und deren ungeklärten Status zwischen Zeichen, Bild und Objekt, der seit der Konzeptkunst der 1960er-Jahre thematisiert wird. Aber mit diesen Fragestellungen werden nicht nur Kunst und ihre Realität verhandelt, sondern wird auch auf den Prozess der Wahrnehmung verwiesen. Dabei wird deutlich, wie wir das Gesehene in Sprache übersetzen und welche Wechselwirkungen in unserem Denken über das Betrachtete ausgelöst werden. 

Philipp Timischl

»Philipp, ich hab das Gefühl, ich sehe wahnsinnig gut aus, aber ich hab nichts zu sagen«

 

21er Raum im 21er Haus, Wien

28. August — 29. September 2013

 

„Philipp, ich hab das Gefühl, ich sehe wahnsinnig gut aus, aber ich hab nichts zu sagen“, räumt die Ausstellung ein. Sie präsentiert sich oberflächlich schön und beiläufig. Auf den ersten Blick bietet sich dem Betrachter ein recht unpersönlicher Anblick. Flatscreens sind im Raum angeordnet, auf ihnen läuft synchron ein Video. Das Display dieser Ausstellung kommt so generisch daher wie ein Elektroshop mit seinen simultanen Bildschirmalleen. Ein Thema, das Philipp Timischl bereits in früheren Arbeiten aufgegriffen hat. In der Ausstellung No interest, no aim, beyond nothing 2010 in Frankfurt beschäftigte er sich mit Allgemeingültigkeiten und Austauschbarkeiten, auch in Form einer Videoarbeit. 

Sie bestand aus „Establishing Shots“: Aufnahmen von Städtepanoramen, Slow-Motion-Naturaufnahmen oder Helikopterflügen über Wolkenkratzer, welche normalerweise zur räumlichen Kontextualisierung in einer filmischen Narration dienen. Da solche Aufnahmen aber am teuersten und zeitaufwändigsten zu produzieren sind, wird in vielen Fällen auf Stockvideos zurückgegriffen. Timischl isolierte diese aus der Reality-Dokumentation The Real L Word, bis nur noch eine handlungslose, austauschbare, hypnotische Collage aus Clips übrig blieb.

Das Video auf den Screens in dieser Ausstellung versucht nun, mit vergleichbaren Methoden, wie verwackelten Landschaftsaufnahmen, unfokussierten Detailaufnahmen oder überstrapazierten Jumpcuts, eine ähnliche Stimmung hervorzurufen, ist jedoch alles andere als anonym.

In 15 Minuten erzählt es mit schnellen Schnitten eine Urlaubsgeschichte. Ein Flugzeug startet, fliegt durch Wolken und landet. Timischl fährt mit dem Bus und trifft seinen verletzten Urlaubsflirt vor dem Krankenhaus wieder. Eine Bus- und Zugfahrt später: Aussicht von einer Terrasse. Beine baumeln in der Luft. Timischl fährt mit seinen Freunden zum Strand. Es wird gebadet und getaucht. Beim Abendessen wird über das Video und das Filmen geredet. Später wird die Kamera auf den Künstler gerichtet, er ist peinlich berührt und sagt nichts. Eine Freundin liest über die Geschichte einer Kirche. Autofahren, im Stau stehen und wieder mal: Strand. Es folgen Einstellungen vom Hafen und vom Abendessen. Ein Gespräch am Strand, ein nächtlicher Spaziergang, ein Stadtfest.

Dieses atmosphärisch dichte Video läuft synchron auf den Flatscreens, an denen mit Halterungen, die eigentlich für eine Wandmontage gedacht sind, flache Bildkörper angebracht sind, die einzelne Stills aus dem Video zeigen. Verfolgt man das Video, ergeben sich also für die Dauer eines Frames Dopplungen in den Skulpturen, die einzelne Aspekte der Narration hervorheben. Der Fokus des Betrachters wird damit gelenkt und gezielt unter die Oberflächlichkeit der Urlaubsimpression geführt.

Einer dieser Aspekte wäre das Verhältnis zwischen Arbeit und Leben. Im Berufs­alltag des Künstlers, eines Role-Models zeitgenössischer Arbeits- und Lebens­konzepte, verlaufen diese Grenzen nicht nur fließend, sondern sie scheinen vollkommen ineinander verschränkt und austauschbar. Selbst Urlaub bedeutet Erholung und Tätigkeit zugleich und wird in diesem Fall anschließend auch noch künstlerisch verwertet.

Durch die Präsentation im Ausstellungsraum ergibt sich auch eine Vermischung von Privatem und Öffentlichem. Persönliche Momente, welche heute oft von vornherein für ein angenommenes, bisweilen anonymes Publikum dokumentiert werden, überhöht Timischl und fasst sie zu einer vermeintlich authentischen Minidoku zusammen. Die Privatheit erzeugt Nähe, die allerdings durch das Wissen aller Protagonisten um die Kraft der frei verkehrenden Bilder und die daraus resultierende Repräsentativität ihrer Handlungen gebrochen wird. Es entsteht mitunter der Eindruck einer „Scripted Reality“, einer Scheindokumentation, die einem Drehbuch folgt. Das Besondere, die Ausnahme, scheint jederzeit eintreten zu können, als ob das Alltägliche im Urlaub eine Fiktion wäre. Trotzdem sind die Aufnahmen so austauschbar wie die massenproduzierten Screens, auf denen sie laufen, wie eine Werbung, die versucht, mit emotionalen, verwackelten Aufnahmen Intimität und Glaubwürdigkeit zu vermitteln.

Mit dem Titel der Ausstellung distanziert sich der Künstler von den zuvor genannten Modellen. Es ist die Ausstellung an sich, die zu einer autonomen Person wird – besorgt darum, nicht zu genügen, nicht mehr zu bieten, nichts zu sagen.

 

Philipp Timischl, geboren 1989, lebt und arbeitet in Wien. 2012 gründete er gemeinsam mit Daphne Ahlers und Roland M. Gaberz den Ausstellungsraum HHDM (Hinter Haus des Meeres). Seine Arbeiten waren zuletzt u.a. bei Perfect Present, Kopenhagen (2013), Galerie Emanuel Layr, Wien (2013), StudioLenikus, Wien (2013), Kunst­raum Lakeside, Klagen­furt (2013), ONO Gallery, Oslo (2012), COCO, Wien (2012) und 68squaremeters, Kopen­hagen (2011) zu sehen.

 

Katalog zur Ausstellung:
21er Raum 2012 – 2016
Herausgegeben von Agnes Husslein-Arco und Severin Dünser
Mit Texten von Severin Dünser, Simon Dybbroe Møller, Paul Feigelfeld, Agnes Husslein-Arco, Lili Reynaud-Dewar und Luisa Ziaja über Ausstellungen von Anna-Sophie Berger, Andy Boot, Vittorio Brodmann, Andy Coolquitt, Simon Dybbroe Møller, Iman Issa, Barbara Kapusta, Susanne Kriemann, Adriana Lara, Till Megerle, Adrien Missika, Noële Ody, Sarah Ortmeyer, Mathias Pöschl, Rosa Rendl, Lili Reynaud-Dewar, Anja Ronacher, Constanze Schweiger, Zin Taylor, Philipp Timischl, Rita Vitorelli und Salvatore Viviano
Grafikdesign von Atelier Liska Wesle, Wien/Berlin
Deutsch/Englisch
Softcover, 21 × 29,7 cm, 272 Seiten, zahlreiche Abbildungen in Farbe
Belvedere, Wien, 2016
ISBN 978-3-903114-18-0

Seite 5 von 6