»Flirting with Strangers«
Herbert Albrecht, Franz Amann, Martin Arnold, Richard Artschwager, Jo Baer, Franz Barwig d. Ä., Georg Baselitz, Herbert Bayer, Herbert Boeckl, Norbertine Bresslern-Roth, Cäcilia Brown, Gerard Byrne, John Chamberlain, Lovis Corinth, Josef Dabernig, Svenja Deininger, Thomas Demand, Verena Dengler, Carola Dertnig, Gerald Domenig, Heinrich Dunst, Angus Fairhurst, Gelitin, Bruno Gironcoli, Carl Goebel d. J., Roland Goeschl, Dan Graham, Robert Gruber, Julia Haller, Swetlana Heger & Plamen Dejanoff, Alois Heidel, Damien Hirst, Benjamin Hirte, Christine & Irene Hohenbüchler, Kathi Hofer, Lisa Holzer, Judith Hopf, Bernhard Hosa, Kurt Hüpfner, Christian Hutzinger, Lukáš Jasanský & Martin Polák, Anna Jermolaewa, Ernst Juch, Birgit Jürgenssen, Tillman Kaiser, Luisa Kasalicky, Michael Kienzer, Erika Giovanna Klien, Jakob Lena Knebl, Kiki Kogelnik, Nathalie Koger, Peter Kogler, Oskar Kokoschka, Cornelius Kolig, Elke Krystufek, Hans Kupelwieser, František Kupka, Maria Lassnig, Sonia Leimer, Anita Leisz, Sherrie Levine, Thomas Locher, Sarah Lucas, Marko Lulić, Christian Mayer, Dorit Margreiter, Christoph Meier, Carl von Merode, Alois Mosbacher, Matt Mullican, Edvard Munch, Flora Neuwirth, Oswald Oberhuber, Nick Oberthaler, Walter Obholzer, Giulio Paolini, Elisabeth Penker, Rudolf Polanszky, Lisl Ponger, Antonín Procházka, Florian Pumhösl, Bernd Ribbeck, Gerwald Rockenschaub, Anton Romako, Anja Ronacher, Wally Salner, Christian Schwarzwald, Johannes Schweiger, Martina Steckholzer, Edward Steichen, Rudolf Stingel, Gerold Tagwerker, Rosemarie Trockel, Esin Turan, Salvatore Viviano, Johannes Vogl, Maja Vukoje, Rebecca Warren, Christoph Weber, Letizia Werth, Franz West, Sue Williams, Robert Wilson, Erwin Wurm, Otto Zitko, Heimo Zobernig; kuratiert von Severin Dünser und Luisa Ziaja
21er Haus, Wien
9. September 2015 — 31. Jänner 2016
Verstehen wir eine Sammlung doch einmal als ein Beziehungsgefüge zwischen Dingen, die einander begegnen. Und als eine Gelegenheit, die, wie Jean Baudrillard es formuliert hat, eine „tägliche Prosa der Gegenstände, […] eine unbewusste und triumphale Unterhaltung“1 etabliert. Die Ausstellung Flirting with Strangers nimmt diesen Gedanken auf und inszeniert ein spannungsvolles, spielerisches und manchmal auch unerwartetes Aufeinandertreffen von und mit Werken aus der Sammlung. Bedarf es vieler Gemeinsamkeiten, um hier „ins Gespräch zu kommen“? Oder sind es eher die individuellen Eigenheiten, die den Funken überspringen lassen?
Kunstwerke sind Dinge, denen ein besonders hoher Grad an Individualität zugeschrieben wird. Keines gleicht dem anderen – ihre Einzigartigkeit zeichnet sie aus, und darin begründet sich gemeinhin auch ihre Sammlungswürdigkeit. Einmal auserwählt, werden sie zu einem unter vielen – eine Paradoxie des Vergleichs von Unvergleichbarem, die dem Sammeln innewohnt. Mit musealen Sammlungen verbinden wir ein Systematisieren der Dinge entlang wissenschaftlicher Kategorien und kunsthistorischer Ordnungsmodi, die Zusammenhänge herstellen, Sinn stiften und als wirkmächtige Deutungsinstanzen verbindliches Wissen produzieren. Und Ausstellungen sind letztlich (An-)Ordnungen dieses Wissens, die aber zugleich das Potenzial haben, alternative Deutungen zu entwerfen und Aktualisierungen zu ermöglichen.
Zentrale Aufgaben des 21er Haus sind das Sammeln, das Erhalten, das Aufarbeiten und nicht zuletzt das Ausstellen lokaler zeitgenössischer Kunst im internationalen Kontext. Was bedeutet „zeitgenössische Kunst“ denn eigentlich? Sie stellt auf jeden Fall eine Abgrenzung zu den Avantgarden der Moderne dar, die das Feld lange Zeit aus einer westlichen Perspektive dominierten. Und sie verspricht eine Relevanz in der Gegenwart, eine Verbundenheit mit dem Hier und Jetzt. Zudem definiert sie sich eher über ihre Offenheit denn über geografische oder kulturelle Grenzen – die globalisierte Welt mit ihrer ideellen Diversität bei gleichzeitiger Ökonomisierung derselben spiegelt sich auch in der zeitgenössischen Kunst wider. Wo die Argumente der klassischen Kunstgeschichte nicht mehr reibungsfrei greifen, wird der Diskurs durch Wertesysteme und Logiken des Marktes kompensiert. Da Information überall jederzeit verfügbar ist, breiten sich stilistische Tendenzen schnell weltweit aus und eröffnen der lokalen Kunstproduktion eine potenziell internationale Bühne.
Diese zunehmende Vielschichtigkeit von Positionen und Perspektiven zeigt sich in den Arbeiten der über hundert Künstlerinnen und Künstler, die in der Schau Flirting with Strangers zu sehen sind. Erwin Wurms Aufforderung Seien Sie ein Hund für eine Minute trifft etwa auf Oskar Kokoschkas Tigerlöwe. Während Wurm die Besucherin und den Besucher dem Animalischen nachspüren lässt, malt Kokoschka eindrücklich eine nie wiederholte Kreuzung zwischen Löwe und Tiger: „Ich war schläfrig an die starken Eisenstangen des Käfigs gelehnt […] Der Schock, als die Riesenkatze wie eine flammende, gelbe Bombe aus dem Dunkeln mit allen Vieren ans Licht, ins Freie, auf mich sprang, genügte, um mich zu wecken!“2. Wo Rudolf Polanszky mit seinem Hintern Bilder malt, hängt unweit Hans Kupelwiesers Fotogramm von Stühlen, die zwar auch dort stehen, aber durch eine aufgesetzte Metallbox ebenso wenig zum Sitzen taugen wie die an die Wand montierten Sessel von Thomas Locher. Edward Steichens Porträt von Auguste Rodin zeigt diesen mit seinem Denkmal für Victor Hugo und dem Denker, während Maria Lassnig im Doppelselbstporträt mit Kamera und Maja Vukojes Patata vertieft in sich kehren. Mit einem Paar Schuhe in der Installation About A B order bringt Heinrich Dunst sich selbst und zugleich die Frage der Autorschaft ins Spiel, während Carola Dertnig in Again Audience / Collage 8 den Blick auf die Füße des Publikums historischer Performances richtet. Die Ausstellung versucht das Format der Sammlungspräsentation also einmal anders zu denken: Sie geht bewusst ahistorisch und unabhängig von Stilgeschichten vor, hebt manches Mal scheinbare Nebensächlichkeiten, möglicherweise auch weit hergeholte Ähnlichkeiten hervor – mit der Absicht, das Detail des Einzelnen in den Fokus zu nehmen und unvermutete Beziehungen zwischen den Dingen zumindest in den Raum zu stellen.
1 Jean Baudrillard, Das System der Dinge, Frankfurt a. M. 1991, S. 112
2 Oskar Kokoschka, Mein Leben, München 1971, S. 207–208.
‘Sign – Image – Object’
Marc Adrian, Ei Arakawa & Nikolas Gambaroff, Richard Artschwager, Josef Bauer, Martin Beck, Mel Bochner, Marcel Broodthaers, Gerard Byrne, Heinrich Dunst, Jenny Holzer, Lisa Holzer, Johanna Kandl, Michael Kienzer, Joseph Kosuth, Hans Kupelwieser, Thomas Locher, Oswald Oberhuber, Michael Part, Gerwald Rockenschaub, Anja Ronacher, Gerhard Rühm, Allen Ruppersberg, Stefan Sandner, Daniel Spoerri, Josef Hermann Stiegler, Josef Strau, Thaddeus Strode, Peter Weibel, Lawrence Weiner, Heimo Zobernig, Leo Zogmayer
in the context of ‘Collection #3’, 21er Haus, Vienna, 2013
21er Haus, Vienna
21 June — 10 November 2013
A museum collection reflects more than the historical vicissitudes of art purchasing policy: it also brings the programmatic direction of an institution into focus. At the 21er Haus, Austrian art is shown in an international context. Contemporary work is at the center of attention, supported by historical artworks which together with it represent a line of argument for its relevance in the here and now.
In order to make visible the diversity of the museum’s holdings, to rediscover artworks and think toward new relationships, the collection is reorganized at regular intervals. In the third presentation of the collection at the 21er Haus, the artworks are grouped into three areas, each of them centering on three concepts narrating localized histories of ideas that extend into the present.
Under the title ‘Freedom – Form – Abstraction’, works of Austrian postwar modernism are juxtaposed with contemporary artistic positions, demonstrating commonalities in both content and form. A second area directs the gaze toward the blurring of boundaries between ‘Sign – Image – Object’, thereby focusing attention on the structure of reception and its translation into language. Finally, ‘Body – Psyche – Performativity’ addresses social norms and their transgression in art since the 1960s.
The area ‘Sign – Image – Object’ attempts to capture the fruitful moments in which the boundaries between image and sign, writing and language, object and idea are transgressed.
What happens when image and sign collide, both being seen and read at the same time? What happens when an object no longer coincides with the beholder’s idea or mental representation of it? Is an image an object, a space of illusion, or itself a sign? When does a sign become an ornament, and can it completely lose its meaning when it is isolated or recontextualized? Can language be depicted without writing, or does it then remain a mute visualization?
To be explored is the interplay between signified and signifier, in other word between that which labels and that which is labeled, and the ambiguous status of sign, image and object, which has been thematized in art since the Conceptual movement of the 1960s. Not only do these queries address art and its reality; they also direct attention toward the process of perception. Outlines emerge of the ways in which we translate what we see into language, and of the interactions that are triggered in our thoughts by what we have seen.
»Zeichen – Bild – Objekt«
Marc Adrian, Ei Arakawa & Nikolas Gambaroff, Richard Artschwager, Josef Bauer, Martin Beck, Mel Bochner, Marcel Broodthaers, Gerard Byrne, Heinrich Dunst, Jenny Holzer, Lisa Holzer, Johanna Kandl, Michael Kienzer, Joseph Kosuth, Hans Kupelwieser, Thomas Locher, Oswald Oberhuber, Michael Part, Gerwald Rockenschaub, Anja Ronacher, Gerhard Rühm, Allen Ruppersberg, Stefan Sandner, Daniel Spoerri, Josef Hermann Stiegler, Josef Strau, Thaddeus Strode, Peter Weibel, Lawrence Weiner, Heimo Zobernig, Leo Zogmayer
im Rahmen von »Sammlung #3«
21er Haus, Wien
21. Juni — 10. November 2013
Eine Kunstsammlung spiegelt nicht nur die Geschichte einer oft wechselvollen Ankaufspolitik wider, ihre Präsentation verdeutlicht gleichzeitig auch die Programmatik einer Institution. Im 21er Haus wird österreichische Kunst im internationalen Kontext gezeigt. Zeitgenössisches steht im Zentrum und wird unterstützt von historischen Arbeiten, die gemeinsam eine Beweisführung für ihre Relevanz im Hier und Jetzt darlegen. Um die Vielseitigkeit des Bestandes sichtbar zu machen, Werke wiederzuentdecken und neue Nachbarschaften anzudenken, wird die Sammlung in regelmäßigen Abständen neu aufgestellt. In der dritten Sammlungspräsentation im 21er Haus umkreisen die Werke in drei Bereichen jeweils drei Begriffe, die lokale Ideengeschichten bis in die Gegenwart erzählen.
Unter dem Titel »Freiheit – Form – Abstraktion« werden Werke der österreichischen Nachkriegsmoderne zeitgenössischen Positionen gegenübergestellt und inhaltliche wie formale Gemeinsamkeiten aufgezeigt. Ein zweiter Bereich lenkt den Blick auf das Verschwimmen der Grenzen zwischen »Zeichen – Bild – Objekt« und verweist dabei auf die Struktur der Rezeption und ihre Übersetzung in Sprache. »Körper – Psyche – Performanz« handelt schließlich von sozialen Normierungen und deren Überschreitung in der Kunst seit den 1960er-Jahren.
Der Bereich »Zeichen – Bild – Objekt« versucht den fruchtbaren Moment zu fassen, wenn die Grenzen zwischen Bild und Zeichen, Schrift und Sprache, Objekt und Idee überschritten werden. Was passiert, wenn Bild und Zeichen aufeinandertreffen, zeitgleich gelesen und gesehen werden? Was, wenn ein Objekt nicht mit der Idee oder der Vorstellung, die man davon hat, übereinstimmt? Ist das Bild ein Objekt, ein Illusionsraum oder selbst ein Zeichen? Wann wird das Zeichen zum Ornament, und kann es überhaupt seine Bedeutung verlieren, indem man es isoliert oder neu kontextualisiert? Und kann man Sprache darstellen, ohne zu schreiben, oder bleibt es dann bei einer stummen Visualisierung? Es geht um das Spiel zwischen Signifikat und Signifikant, also Bezeichnetem und Bezeichnendem, und deren ungeklärten Status zwischen Zeichen, Bild und Objekt, der seit der Konzeptkunst der 1960er-Jahre thematisiert wird. Aber mit diesen Fragestellungen werden nicht nur Kunst und ihre Realität verhandelt, sondern wird auch auf den Prozess der Wahrnehmung verwiesen. Dabei wird deutlich, wie wir das Gesehene in Sprache übersetzen und welche Wechselwirkungen in unserem Denken über das Betrachtete ausgelöst werden.