Lili Reynaud-Dewar

»I am intact and I don‘t care«

 

21er Raum im 21er Haus, Wien

20. März — 14. April 2013

 

Lili Reynaud-Dewar interessiert sich für Identität. Ihre eigene wird dabei genauso Thema wie komplexere kulturelle Stereotypen. Sie verhandelt Mythisches, Historisches und Biografisches auf einer Ebene und legt formale, fiktionale wie auch symbolische Potentiale frei. Research und Performanz sind dabei ihre Werkzeuge, und das Bühnenbildhafte ihre Sprache.

Seit Jänner ist Reynaud-Dewar Artist in Residence des Belvedere. Während ihres Aufenthalts entwickelte sie eine Reihe neuer Arbeiten, die sie nun im 21er Raum präsentiert. Entstanden ist ein Ensemble aus Einrichtungsgegenständen, die der Idee eines Schlafzimmers recht nahe kommen.

 

»Was wenn das Künstlerdasein dazu führt nicht seinen eigenen Raum, sondern viele eigene Räume von vielen Selbsts zu haben? Viele idente Schlafzimmer, dekoriert mit Blumen, Früchten und Flüssigkeiten. Es würde auch bedeuten, sich selbst sichtbar und verfügbar zu machen, immer irgendwie greifbar, auf einen Blick. In meinen vielen identischen Schlafzimmern blute ich, tanze ich, arbeite ich, weine ich. Ich bin nicht mehr privat: alles ist zur Schau gestellt. Man sagt wir wären in einer Zeit der Sichtbarkeit angekommen. Das zieht Wiederholung, Wiederholung, Wiederholung mit sich. Meine Schlafzimmer sind ein Zyklus, mein Körper ist ein Material, zugänglich über Flat Screens, meine Gedanken werden wiederverwertet. Zersetzung tritt ein. Erschöpfung tritt ein. Zerstreuung tritt ein.

Der Springbrunnen ist eine Hommage, sogar ein Monument, oder eine Metapher für die Schriftsteller, die ihr eigenes Leben als Quelle für ihr gesamtes Werk verwenden. All jene die sich Geschichten, Fabeln,  dem Erfinden von Charakteren und Handlungen, den Protokollen der Fiktion und … den Metaphern verweigern. Einer von Ihnen, Guillaume Dustan, beschrieb sein intensives – und repetitives – Sexualleben mit akkurater Präzision. Er prägte einen Begriff für sein bevorzugtes Genre: „Autopornobiography“. In seinen Büchern blutet, tanzt, arbeitet und weint auch er. Sein letztes Buch hat den Titel „Premier Roman“ (Erster Roman). Sein erstes Buch heißt „Dans ma chambre“ (In meinem Zimmer). Mein Raum ist diesem Buch gewidmet. Obwohl Dustan nicht viel gelesen wurde, beeinflusste er doch eine Generation junger Franzosen (eventuell nur Pariser). Sein Bild zirkulierte auf vielen Schirmen – wie zum Beispiel jenes im Fernsehen, wo er gerne mit Perücken auftrat – aber schlussendlich zirkulierte es nicht mehr, wahrscheinlich weil es unangemessen wiederholt und abgewertet wurde, und das auf unangemessene Art und Weise. Aber, wenn man will, kann man die Videos seiner Fernsehauftritte endlos auf seinem persönlichen Schirm ablaufen lassen.

Das Schlafzimmer in dem Sie gerade stehen ist nach den Notwendigkeiten seiner Zirkulation und Reproduktion geplant worden. Ja, es wird wiederholt. Kleine Änderungen wird es in den kommenden Versionen geben. Vielleicht ein geringfügig größeres Bett, ein paar Bilder von Männern beim Sex hinter den bunten Panelen, ein Bildschirm der in einem geheimen Schränkchen steckt, ein Springbrunnen mit bunter statt schwarzer Farbe. Oder vielleicht wird es einfach wiederholt wie es ist, als Kopie seiner selbst, ein bisschen aberwitzig. Und irgendwann wird es nicht mehr zirkulieren, wahrscheinlich weil es wiederholt und abgewertet wurde, und das auf unangemessene Art und Weise.« (L.R.-D.)

 

Lili Reynaud-Dewar lebt und arbeitet in Paris und Grenoble. Ihre Arbeiten waren zuletzt u. a. zu sehen bei Magasin, Grenoble, 2012, im Bielefelder Kunstverein, Bielefeld, 2011 sowie in der Kunsthalle Basel, 2010. Darüber hinaus hat sie an zahlreichen internationalen Ausstellungen teilgenommen, darunter La Triennale, Palais de Tokyo, Paris, 2012, The End of Money, Witte de With, Rotterdam, 2011 sowie Elles@centrepompidou, Centre Pompidou, Paris, 2009. Für das Jahr 2013 sind Einzelausstellungen im Kunstraum Innsbruck und in Le Consortium, Dijon sowie die Teilnahme an der Lion Biennale geplant.

 

Katalog zur Ausstellung:
21er Raum 2012 – 2016
Herausgegeben von Agnes Husslein-Arco und Severin Dünser
Mit Texten von Severin Dünser, Simon Dybbroe Møller, Paul Feigelfeld, Agnes Husslein-Arco, Lili Reynaud-Dewar und Luisa Ziaja über Ausstellungen von Anna-Sophie Berger, Andy Boot, Vittorio Brodmann, Andy Coolquitt, Simon Dybbroe Møller, Iman Issa, Barbara Kapusta, Susanne Kriemann, Adriana Lara, Till Megerle, Adrien Missika, Noële Ody, Sarah Ortmeyer, Mathias Pöschl, Rosa Rendl, Lili Reynaud-Dewar, Anja Ronacher, Constanze Schweiger, Zin Taylor, Philipp Timischl, Rita Vitorelli und Salvatore Viviano
Grafikdesign von Atelier Liska Wesle, Wien/Berlin
Deutsch/Englisch
Softcover, 21 × 29,7 cm, 272 Seiten, zahlreiche Abbildungen in Farbe
Belvedere, Wien, 2016
ISBN 978-3-903114-18-0