Tue Greenfort

»Eine Bergeschichte«

 

Kunstraum Dornbirn

14. September – 4. November 2012

 

Die Ausstellung des dänischen Künstlers Tue Greenfort verbindet eine Reihe von Geschichten aus Kunst- und Kulturproduktion, aus Ökologie und Ökonomie mit Fragen nach mittlerweile verwässerten Kategorien wie der Nachhaltigkeit und dem Naturbegriff zu einem filigranen Netz. Es überlappen sich Thematiken und filigranen Figurationen. Formaler Ausgangspunkt sind unter anderem die Geschichte und die Lokalität des Kunstraum Dornbirn, dem Greenfort eine neue räumliche Struktur einschreibt.
Es handelt sich um eine ehemalige Montagehalle. 1893 erbaut, hatte sie den Zweck, Arbeitsprozesse zu vereinfachen, auch zu rationalisieren. Ein ökonomisches Motiv, das heutzutage in einem Zug mit dem Verlust von Arbeitsplätzen genannt wird, aber eine Parallele zur Ökologie hat: Auch hier geht es darum, Ressourcen schonend einzusetzen, genauso wie bei der Kuppel, die der Künstler im Raum platziert hat. Die gegensätzlich scheinenden Motive aus Ökonomie und Ökologie treffen sich hier, werfen aber auch Fragen auf. Genauso wie der Ausstellungstitel und die Werke, die darunter versammelt sind:
Wenn man einen Berggipfel erreicht, hat man dann die Natur bezwungen oder hatte man ein Naturerlebnis? Was hat die Geschichte des Bergsteigens mit Ökologie, Hippie-Träumen und -Dystopien zu tun? Wie kann man den Auswüchsen des Kapitalismus begegnen? Durch eine Do-it-yourself-Kultur? Wo hört die Geschichte der Ökologie auf, wo beginnen die Geschichten des Rationalismus? Kann Natur nur innerhalb von Kultur verstanden werden? Wie unterläuft man Langeweile in der zeitgenössischen Kunst? Was würde Buckminster Fuller sagen? Durch eine geodätische Kuppel? Und ist diese Kuppel größer als eine Skulptur, ist sie Architektur oder eine künstlerische Intervention?
Greenfort wirft Fragen in den Raum, statt Antworten zu geben, und überlässt dem Besucher das Ziehen von Schlüssen daraus. Er stellt dabei die institutionellen Normen zeitgenössischer Kunst infrage, ebenso wie die Funktion von Kunst an sich und die damit verbundene Deutungshoheit. Es geht nicht darum, etwas Wahres, Gutes oder Schönes zu zeigen, und schon gar nicht darum, dass der Besucher etwas glauben muss. Vielmehr geht es dem Künstler um die Demokratisierung eines Erkenntnisprozesses, und damit auch um die Emanzipation des Betrachters, der sich dieser Anforderung auch stellen muss.
Greenfort versteht sich weniger als Künstler, sondern vielmehr als eine Person, die Prozesse in Gang setzt und dadurch zum Nachdenken anstößt. Auch bei der zu sehenden Kuppel ist nicht klar, wie man sie definieren soll: Ist sie ein Kunstwerk von Tue Greenfort oder eine Architektur nach Buckminster Fuller? Greenfort jedenfalls platziert sie im Raum, und es stellt sich die Frage, ob es wichtig ist, ob etwas als Kunst deklariert ist, oder ob es nicht reicht, dass davon ausgehend über Dinge nachgedacht werden kann.
Wie schon kurz erwähnt, ist die Kuppel nach Plänen von Richard Buckminster Fuller gebaut. Der stellte eine 62 Meter hohe Version des „geodätische Kuppel“ genannten Baus 1967 bei der Weltausstellung in Montreal aus und wurde damit schnell berühmt. Und das nicht wegen seines spektakulären Aussehens, sondern der Idee dahinter. Es ging ihm darum, mit möglichst wenig Ressourcen eine möglichst funktionale Struktur zu schaffen (der Begriff Synergieeffekt stammt übrigens auch von ihm) – die Außenfläche der Kuppel ist z.B. 40 % kleiner als sie bei einem quadratischen Gebäude mit gleicher Grundfläche wäre. Aufgegriffen wurde die Form recht schnell von den Hippies, die anfingen, ihre eigenen Kuppeln aus Wegwerfmaterialien zu bauen.
Hier verwendet Greenfort Bauplanen, wie man sie von Baustellen kennt, samt darauf gedruckter Werbung. Ähnlich der Idee der Freitag-Taschen werden diese Bauplanen recyclet und als Hülle wiederverwendet; an der Außenseite ist noch Reklame zu erkennen, die jetzt allerdings nicht mehr zu Konsum und Wegwerfen animiert, sondern im besten Fall vor Regen schützt.
Was das jetzt mit dem Bergsteigen zu tun hat? Die Erholung in der freien Natur war schon im frühen 19. Jahrhundert in Mode, der österreichische Alpenverein wurde 1862 gegründet. In weiterer Folge kam es vermehrt zu Expeditionen in höher liegende Gebiete, etwa in den Himalaya, wo man mit dort ansässigen Bergvölkern in Berührung kam. Kulturen in kargen Gebieten zeichnen sich durch einen äußerst sparsamen und effizienten Lebensstil aus. Diese Eindrücke führten unter anderem auch dazu, dass der Alpinismus sich im 20. Jahrhundert nicht mehr nur mit dem Bezwingen der Berge beschäftigte, sondern man auch anfing, sich darüber Gedanken zu machen, wie man die Natur nicht nur unberührt lassen, sondern sie auch erhalten kann. Darauf bezogen sich schließlich die Ökobewegungen, und natürlich auch die Hippies, die Buckminster Fullers Kuppeln nachbauten.
Vor der Kuppel ist ein Modell zu sehen, ebenfalls von Tue Greenfort, diesmal nach einer Leichtbau-Zeltkonstruktion von Frei Otto aus dem Jahr 1957. Auch bei Tent (2007) geht es darum, aus Werbeplanen funktionale Architektur herzustellen, also mittels ein paar Stangen, Seilen und Wegwerfmaterial Raum für Menschen zu schaffen.
Auch zu sehen, vielmehr jedoch zu hören, ist die Soundinstallation Audio System (2011). Dafür wurden Mikrofone im Innen- und Außenbereich des Kunstraums angebracht. Die Signale werden durch einen Computer geleitet. Dieser legt einen Audiofilter darüber und leitet die Signale per Zufallsgenerator wieder in den Raum, wo sich die verschiedenen Geräusche zu einem Klangteppich verweben. Natur und Menschen werden akustisch in den Raum getragen, der sonst eher von andächtiger Stille beherrscht wird.
Auch mit der Arbeit Conservation (2011) lässt er die Widersprüche von Natur und Museum aufeinanderprallen. Die eigentliche Aufgabe eines Museums liegt gewöhnlich darin, die ausgestellten Objekte zu erhalten und zu bewahren. Holzwürmer und ähnliche Schädlinge versucht man loszuwerden. Holz, das im Grunde ein lebendes Material ist, wird abgetötet und für die Ewigkeit vorbereitet. Ganz im Gegensatz dazu, ist das Holz, das sich bei Greenfort unter einer Glaskuppel befindet, von Holzkäfern bevölkert, und man kann dem geschützten Zerfall praktisch zuschauen: Irgendwann wird dann nur noch ein Haufen Sägemehl unter dem Glas zu sehen sein. Es geht hier also um Zeit und die natürliche Vergänglichkeit, was auch durch die formale Anlehnung an eine Standuhr suggeriert wird. Darüber hinaus ist nicht ganz klar, ob der Kunstraum auf diese Weise vor den Holzkäfern beschützt wird oder die Käfer vor den Besuchern.
Ebenfalls ein Memento Mori, aber mehr noch eine diskrete Mahnung ist die Arbeit Untitled (2010). In einer Flasche sind 10 Liter Alkohol, den man in kleinen Dosen entnehmen und in einer dafür vorgesehenen Schale verbrennen kann. 10 Liter, das ist der durchschnittliche Jahresverbrauch eines Österreichers, und der Becher, mit dem der Alkohol umgeschüttet werden kann, lässt uns wissen, dass man täglich 1.800 Kilokalorien zum Leben braucht, was 25,7 cl Alkohol entspricht. Vielen Menschen, etwa in der dritten Welt, steht diese Menge an Nahrung leider nicht zur Verfügung.
Tue Greenfort hat mit der Ausstellung nicht nur Dinge versammelt, sondern versucht, eine Struktur zu schaffen. Als Kunst sollen nicht die Objekte gesehen werden, sondern der Prozess. Es ist ein Projekt, das von vielen Köpfen getragen wird, nicht von Individualität. Seien es die historischen Positionen, die Mitarbeiter, Theoretiker und Philosophen, die hier ihren Teil dazu beigetragen haben, dass die Ausstellung so geworden ist, oder die Besucher selbst: Es geht darum, viele Geschichten – auch die persönlichen der Besucher – zur Interaktion zu bringen. Und darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass man Teil einer Tradition und Geschichte ist. Die Ausstellung dreht sich folglich nicht nur um Geschichte und Geschichten, sondern versucht, selbst eine Narration, ein Prozess zu sein: eine offene, mitunter chaotische, aber dynamische Einheit, ohne abrupten Anfang oder Ende.