Anne Schneider

»Ableger / Lessening Fold«

 

21er Haus, Wien

5. Dezember 2015 — 17. Jänner 2016

 

»Ableger / Lessening Fold« nennt Anne Schneider ihre Ausstellung im 21er Haus. Ein »Ableger« ist ein abgetrennter Teil einer Pflanze, aus dem eine neue wachsen kann – eine Methode zur Vermehrung also. Metaphorisch steht dieser Teil des Titels bei Schneider aber für ihre Prozesse des Denkens und Arbeitens: Das Ablegen von Dingen ist ein wesentlicher Teil ihrer Praxis. »Aus dem Ablegen entstehen neue gedankliche Verbindungen und daraus Formationen. Dieser Hang zum Liegenlassen und Stapeln erzeugt zuerst Chaos, aus dem ich kreativ schöpfen kann und das in einer bewussten Wiederholung einzelner Verbindungen Neues formuliert«, erklärt Schneider. Der zweite Teil des Titels – Lessening Fold, also »abnehmende Falte« – verweist auf die formale Seite ihres Schaffens, das Entstehenlassen von Falten durch das Quetschen und Pressen von Volumen.
Bildhauerei bedeutet im Wesentlichen, mit Volumen umzugehen, seien es nun additive Verfahren wie bei der Plastik oder subtraktive Methoden wie bei der Skulptur. Anne Schneider bedient sich beider Arbeitsweisen und greift dafür auf Materialien wie Wachs, Beton, Jute oder Metall zurück. Es sind Stoffe, die man aus dem Alltag kennt und die der Künstlerin ein hohes Maß an Freiheit im Umgang mit ihnen erlauben. Jute assoziiert man mit Säcken, die man dazu verwendet, sie mit anderen Dingen zu befüllen. Schneider verwendet gebrauchte Jute, die eigentlich Abfall ist bzw. ein entwerteter Stoff, und untergräbt so Materialhierarchien. Auch Wachs ist ein gewöhnlicher Rohstoff, der reversibel ist und einfach in unterschiedliche Aggregatzustände gebracht werden kann. Das bringt eine Unmittelbarkeit im Umgang mit dem Material mit sich, die einerseits der Künstlerin ermöglicht, fast skizzenhaft damit zu arbeiten, was andererseits den Formwerdungsprozess für den Besucher nachvollziehbar macht. Auch bei der Verwendung von Beton werden Berührungen und Gesten erkennbar. Hier sind es keine Spuren von Händen, sondern Abdrücke von Nähten, die die Herstellung ablesbar machen: Anne Scheider näht Textilien zu Negativformen, die sie mit Beton ausgießt. Normalerweise werden für Gussformen starre Materialien verwendet, um exakte Ergebnisse zu erzielen. Textilien sind flexibel, wodurch sich beim Guss Ausbuchtungen ergeben, aber auch Falten. Was als Form noch geometrischen Prinzipien folgt und formale Strenge hat, erhält im Guss etwas organisch Anmutendes, fast Anthropomorphes, das mit seinen weichen Rundungen im Gegensatz zu seiner harten Materialität steht.
Viele von Anne Schneiders Betonobjekten sind zudem rosa bzw. hautfarben eingefärbt, was ihre Körperhaftigkeit noch steigert. Das Organische, das diesen Objekten anhaftet, subjektiviert sie und gibt ihnen einen Charakter. Wesenhaft sitzen und stehen sie im Raum, während eine andere Serie von Arbeiten, die Bodies, diese Anthropomorphität zwar im Namen trägt, sie aber nicht ausstrahlt. Es sind gegenstandhafte Objekte, die an Möbel erinnern und durch den antizipierten Gebrauch auf den Körper verweisen. Ihre suggestive Kraft liegt in der Abwesenheit von Körpern und zugleich in deren Eingeschriebenheit in die Skulpturen.
Die Ausstellung deutet so auch auf einen Wohnraum hin. Architektur ist ein wiederkehrendes Motiv bei Anne Schneider, ebenso die Idee der Erfahrung durch Zeit und Bewegung. Zwei Objekte in der Ausstellung etwa sind wie Portallöwen positioniert, und man muss zwischen ihnen durchgehen, um dann vor einer schwarzen Wand aus Wachs zum Stehen zu kommen. Das Private und Intime wird in einem öffentlichen Raum seziert und präsentiert. Dies ist aber keine Illustration eines domestischen Raums, sondern das Domestizieren eines Raums. Dem Modernismus und seiner Rationalisierung des Lebens setzt Schneider etwas Organisches entgegen, genauso dem White Cube einen Rückzugsort.
Und als solchen hat Anne Schneider die Ausstellung konzipiert: als einen Ort zum Entschleunigen, zum Runterkommen. Indem sie in ihrer Praxis auf Materialien setzt, die alltäglich sind, zu denen sie auch als Person eine gewisse Nähe hat und mit denen sie auf eine Art und Weise umgeht, die auf ebenso vertrauten Techniken wie Nähen beruht, betont die Künstlerin ein kontemplatives Moment in ihrer Kunst: Hier geht es nicht um eine Auseinandersetzung, sondern um eine Vertiefung. Das physische Wahrnehmen der Ausstellung wird so zu einer psychischen Erfahrung, die innerlich entspannt und Falten reduziert.

Anne Schneider, geboren 1965, lebt in Wien. Ihre Arbeiten waren u. a. in den Ausstellungen Care bei Interstate Projects in New York (2015) und Oysters with Lemon bei Ventana in Brooklyn (2015), in der Minerva Gallery in Sydney (2015), bei Supergood in Wien (2015), im Salzburger Kunstverein (2014), in anthropomorph und unähnlich in der Galerie Christine König in Wien (2011) und in Nichts ohne den Körper im Lentos Kunstmuseum in Linz (2008) zu sehen.